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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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eine Botschaft, siehe Freud, die kaum ein Karikaturist offen Adressaten hätte verkünden können, denen weite Teile des Königreichs gehörten.
     

    James Gillray, Die modebewusste Mama, 1796
     
    Um die gleiche Zeit kam in der besseren Gesellschaft die Mode des Stillens auf: Frauen, die sich nie mit Kindern befasst hatten, säugten jetzt ihre Babys, um fortschrittlichen Ideen über die Mutterschaft Rechnung zu tragen. Frauen, die allein kaum den Weg zu den Kinderzimmern gefunden hätten, bestanden darauf, ihre Brüste zu entblößen und sich den Säugling anlegen zu lassen — mit Vorliebe zwischen den Gängen beim Lunch oder Souper. Und wieder hatten die Karikaturisten ein dankbares Thema.
    Gegen Ende des 19.Jahrhunderts grassierte wieder eine neue Mode unter der englischen Oberschicht: Wer auf sich hielt, wer bedeutsam und gebildet erscheinen wollte, sprach nun Französisch, besonders in Restaurants. Das Satire-Magazin Punch witterte seine Chance, ein frisches Laster aufzuspießen.
     

    Jones: Oh, äh, garçong,, regardez issi, äh, apportez- vuh le ... la ...
    Kellner: Verzeihen Sie, Sir. Ich kann kein Französisch.
    Jones: Dann schicken Sie mir gefälligst jemanden, der es kann!
    Punch, 1895
     
    Auch hundert Jahre später war den Cartoonisten des New Yorker dank der »Bosheit und Possen« der Hautevolee Manhattans längst noch nicht der Stoff ausgegangen. Unternehmer legten neuerdings Wert darauf, ihren Untergebenen wohlgewogen zu erscheinen. Leider blieb es beim Schein. Meist begnügten sie sich damit, die alten Ausbeutermethoden mit sanften technokratischen Ausdrücken zu bemänteln. Die Cartoonisten ließen sich nicht narren
     

    Sklavengaleere: »Humankapital?«
     
    Die Arbeitnehmer wurden weiter nach strikt utilitaristischen Prinzipien behandelt, und wehe dem, der es wagte, die Phrasen von der Sorge um das Wohl der Angestellten beim Wort zu nehmen.
     

    »Wisst ihr, was ich glaube? Dass vor allem Anstand und Menschlichkeit zählen ... «
     
    Der Gang der Geschäfte brachte es mit sich, dass viele Führungskräfte, besonders Juristen, das klinisch saubere Effizienzdenken auf alle Lebensbereiche übertrugen und immer mehr von ihrer Spontaneität und Empathie einbüßten.
     

    »Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch aber vor allem Anwalt.«
     

    »Joyce, ich bin so verrückt nach dir, dass ich keinen Bissen runterkriege usw., aber das ist nicht der Grund meines Anrufs ...«
     
    Unterdessen erwarb sich die Militärkaste auf Grund ihrer Macht, die Erde zu zerstören, ein nie da gewesenes Sozialprestige. Die Comics entlockten dem Publikum ein skeptisches Schmunzeln über den tödlichen Ernst der Krieger.
     

 
4

    »An welchen Microsoft-Millionär denkst du denn jetzt wieder?«
     
    Humor ist nicht nur ein sehr nützliches Werkzeug bei der Demontage von Status, er kann uns auch helfen, unsere eigenen Statusängste zu verstehen und zu überwinden.
    Vieles von dem, was wir komisch finden, kreist um alltägliche Situationen oder Empfindungen, denen wir sonst mit Verlegenheit oder Scham begegnen. Die besten Cartoons spießen Probleme auf, die wir nicht wahrhaben wollen, sie bringen unsere peinlichsten Schwächen an den Tag. Je persönlicher und ausgeprägter die Angst, umso besser stehen die Chancen auf den Lacher, Tribut an die Raffmesse, mit der das Unaussprechliche verspottet wird.
    Es überrascht daher nicht, dass der Witz oftmals auch Statusängste offen legt. Er bestätigt uns, dass andere nicht weniger neidisch oder angeknackst sind als wir, dass auch andere mitten in der Nacht hochschrecken, weil ihr Finanzgebaren zum Alb wird, dass auch andere hinter ihrer glatten Fassade nicht immer gut sortiert sind. Und vielleicht wird der Witz zum willkommenen Anlass, unseren ebenso gequälten Mitmenschen die Hand zu reichen.
     

    »Also normalerweise wache ich um halb sieben schreiend auf, und um neun bin ich im Büro.«
     
    In der humanen Variante verspotten Cartoons weniger unsere Statusängste, als dass sie uns aufziehen. Ihre Kritik impliziert, dass wir im Grunde trotzdem in Ordnung sind. Dann anerkennen wir mit einem herzhaften Lachen bittere Wahrheiten, gegen die wir uns mit Empörung verwahrt hätten, wären sie uns unverblümt als Anklage zugemutet worden.
     

 
5
     
    Die Cartoons fügen sich somit ebenfalls in Matthew Arnolds Definition der Kunst als Disziplin, deren Feld die Lebenskritik sei. Sie richten sich gegen die Arroganz der Macht genauso wie gegen die Auswüchse unseres Sozialneids.

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