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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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Wertschätzung anderer geworden. Man muss reich sein, um es in der Gesellschaft zu Ansehen zu bringen. Der Erwerb von Eigentum ist unverzichtbar geworden, will man seinen guten Namen wahren ... Mitglieder der Gesellschaft, die [einen relativ hohen Vermögensstandard] verfehlen, werden in der Achtung ihrer Mitmenschen sinken — und folglich auch in ihrer eigenen Wertschätzung.«
    In einer am Kommerz ausgerichteten Gesellschaft, so Vehlen, ist es fast unmöglich, am Glauben festzuhalten, man könne arm und trotzdem von Wert sein. Auch Menschen, denen aller Materialismus fremd ist, müssten dem Zwang unterliegen, Wohlstand vorzuweisen, um nicht ausgegrenzt zu werden, und sich schuldig fühlen, wenn ihnen das nicht gelänge.
    Folglich wird materieller Überfluss unabdingbar nicht deshalb, weil er Vergnügen bereitet (obwohl das der Fall sein kann), sondern weil er Ehre macht. In der Antike stritten die Philosophen um die Frage, was für ein glückliches Leben vonnöten und was überflüssig sei. Epikur war der Meinung, dass einfache Ernährung und Behausung nötig seien, vernünftige und philosophisch gesinnte Menschen hingegen auf prächtige Villen und üppige Mahlzeiten ohne weiteres verzichten könnten. Doch Adam Smith, der viele Jahrhunderte später in seinem Buch Vom Reichtum der Nationen auf diesen Streit zurückkam, vermerkte trocken, dass es in der modernen, materialistischen Gesellschaft zweifellos unzählige Dinge gebe, die für das Überleben entbehrlich seien, während jedoch viel mehr Dinge als »Notwendigkeiten« betrachtet würden, weil niemand als respektabel gelten und folglich keine Ruhe finden könne, der sie nicht besitze.
    »Unter Notwendigkeiten verstehe ich nicht nur die Einrichtungen, welche für die Lebensführung unerlässlich sind, sondern alles, was nach Sitte des Landes dem ehrenhaften Bürger, und sei er auch vom niedersten Range, als Schande angerechnet würde, sollte es ihm fehlen. Ein Hemd aus Linnen zum Beispiel ist streng genommen keine Lebensnotwendigkeit. Die Griechen und Römer lebten, wie ich annehme, sehr behaglich, obgleich sie kein Linnen kannten. Aber in der heutigen Zeit wird sich im größeren Teil Europas noch der Tagelöhner, der auf sich hält, schämen, ohne leinernes Hemd auf die Straße zu gehen, würde dessen Fehlen ihn doch eines solch gravierenden Elends verdächtig machen, wie es nach allgemeiner Auffassung niemand leidet, ohne sich äußerst schlecht betragen zu haben. Unter Notwendigkeiten verstehe ich daher nicht nur Dinge, welche die Natur, sondern auch solche Dinge, welche die geltenden Anstandsregeln als unerlässlich auch für die Geringsten erachten.«
    Seit den Tagen von Adam Smith sind die Ökonomen fast durchweg der Ansicht, dass das, was Armut ausmacht und bitter macht, weniger die physische Not sei als vielmehr die Scham, die die Reaktion der Umwelt auf Armut wie auch die Tatsache erzeugen, dass diese gegen Adam Smiths »Regeln des Anstands« verstößt. In seinem Werk Gesellschaft im Überfluss (1958) bemerkt J.K. Galbraith und erweist darin Smith seine Reverenz: »Menschen sind arm, wenn ihr Einkommen, auch wenn es zum Überleben reicht, deutlich hinter dem der Allgemeinheit zurückbleibt. Dann können sie nicht mehr aufbringen, was die Mehrheit als notwendiges Minimum für ein anständiges Leben betrachtet, und sie können dem Urteil der Allgemeinheit, sie seien unanständig, nicht gänzlich entgehen.«
     

 
3
     
    Auf diese Vorstellung, dass Reichtum mit »Anstand« einhergehen müsse, Armut mit »Unanständigkeit«, richten sich viele Vorbehalte der Kritiker des modernen Statusideals.
     
    Warum sehen viele im Unvermögen eines Menschen, Geld zu verdienen, einen Beleg seiner Minderwertigkeit, statt darin lediglich die Schwachstelle eines ansonsten viel weiter gespannten, vielseitigeren Lebensentwurfs zu vermuten? Warum sollen Reichtum oder Armut als Indikatoren der Moral eines Menschen gelten?
    Die Gründe sind so obskur nicht. Das Geldverdienen setzt häufig charakterliche Stärken voraus. Fast in jedem Job braucht man, um sich zu bewähren, Intelligenz, Weitsicht, soziale Kompetenz. Ja, je lukrativer der Job, desto anspruchsvoller die Qualitäten, die er verlangt. Anwälte und Ärzte verdienen nicht nur mehr als Straßenkehrer, sondern ihre Arbeit erfordert auch mehr Einsatz und Kompetenz.
    Ein Tagelöhner würde sich schämen, ohne Linnenhemd auf die Straße zu gehen, schrieb Adam Smith, denn das Fehlen eines solchen Hemdes verrate eine

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