Staub Im Paradies
kein Morgen. Als mich Verasinghe auf ein lebensgroßes Denkmal am Straßenrand hinweist, das an den Verkehrstod einer legendären singhalesischen Schauspielerin erinnert, kann ich nur gequält lächeln.
Auf dem Rücksitz des Wagens sitzt der Oberschläuling, der im Schach so jämmerlich gegen Premadasa verloren hat. Der Junge heißt Riccardo Salis, ist sechsundzwanzig und kommt ursprünglich aus Bergün im Kanton Graubünden. Wenn er nicht gerade im Schach verliert, studiert er Genetik an der ETH Zürich. Er weilte zu einem einmonatigen Praktikum im Hamawella Malaria Research Center, das inzwischen jedoch beendet ist. Deshalb fliegt er heute zurück nach Hause.
Die beiden Kugeln aus Rainer Schütz’ Leichnam befinden sich in der Seitentasche von Salis’ Rucksack. Genau genommen in einer Blechdose, die mit einem Shivamukti genannten grünen Schleim gefüllt ist, der angeblich gegen alles hilft, von Muskelkrämpfen bis zu Erkältungen.
Verasinghe ist sich absolut sicher, dass die Schleimbüchse die Sicherheitskontrollen am Katunayake Airport problemlos passieren wird. Vor allem weil unser Student gar nicht weiß, was sich in der grünen Wunderpaste verbirgt.
Als Verasinghe sich erbot, den Bündner Jungforscher zum Flughafen nach Colombo zu kutschieren, nutzte ich die Gelegenheit, mich ihm anzuschließen. Unter anderem weil mit der Boeing aus Zürich Verwandte von Jürg Deiss sowie Rainer Schütz’ Vater eintreffen sollen. Zwar werden auch Vertreter der inzwischen eingeschalteten Schweizer Botschaft vor Ort sein; aber als Augenzeuge des Anschlags fühle ich mich dennoch irgendwie verpflichtet, ebenfalls in Erscheinung zu treten.
Zudem möchte ich gerne etwas zur Ruhe kommen. Hinter mir liegen zwei konfuse Tage. Denn die Hoffnung, dass nach dem Abzug des Militärs Ruhe in das Forschungszentrum von Hamawella einkehren würde, hat sich leider nicht bewahrheitet.
Verasinghe setzte seine Ermittlungen ungerührt fort. Und da ich das nicht nur bestens nachvollziehen konnte, sondern auch zunehmend freundschaftliche Gefühle für den kleinen, dicken Mann zu entwickeln begann, unterstützte ich ihn in seinen Bestrebungen, so gut ich konnte. Damit verärgerte ich nicht nur einzelne Wissenschaftler – allen voran den alten Hugentobler –, sondern auch meine geliebte Gemahlin Leonie. Und zwar so sehr, dass sie sich aus purer Rachsucht gestern spät nachts zu ein paar spöttischen Bemerkungen über Annas doch sehr wechselhaftes Liebesleben hinreißen ließ.
Das wiederum machte dann mich gallig. Denn meine Tochter aus erster Ehe darf zwar durchaus kritisiert werden. Allerdings ausschließlich von mir, der ich erwiesenermaßen ihr Erzeuger bin, und nicht von meiner zweiten Frau. Die sollte lieber unseren gemeinsamen trägen Sohn Per in den Hintern treten, um einen ähnlich brauchbaren Menschen wie Anna aus ihm zu machen! Aber auf diesem Auge ist Leonie natürlich blind. Statt Per die Leviten zu lesen, beschränkt sie sich darauf, mit seiner Freundin zu zanken.
Die allerdings ist tatsächlich über alle Maßen kompliziert und anstrengend. So schwatzte mir die gute Adrienne gestern des Längeren die Ohren voll, sie sei einem Skandal auf der Spur, der sich um den Missbrauch von Tsunamihilfsgeldern zum Wiederaufbau von Dörfern an der Küste drehe. Sie drohte mit einem Eifer sondergleichen weitere Recherchen an und schwor, auch dann nicht vor unangenehmen Enthüllungen zurückzuschrecken, wenn sie Leute mit Macht und Einfluss träfen.
Per unterstützte sie selbstverständlich auch noch in ihrem Wahn, er scheint ihr völlig ergeben. Meiner Meinung nach begreift er allerdings kaum, wovon sie überhaupt redet.
Tochter Anna wiederum macht zwar periodisch auf charmante Gastgeberin, lässt aber durchaus durchblicken, dass sie eigentlich Wichtigeres zu tun hat, als uns zu bewirten und zu behüten. Nicht dass ihr die Mücken lieber wären – aber die seien nun mal ihre Arbeit. Die Dissertation schreibe sich schließlich nicht von selbst, sagte sie gestern zu mir, bevor sie für Stunden in einem etwas abseits stehenden Gebäude verschwand. Vermutlich, um irgendwelche teuflischen Experimente durchzuführen.
Im Notfall ist auf Anna allerdings Verlass. So rettete sie die hysterische Adrienne heute Morgen vor einer pfirsichgroßen Vogelspinne, die sich irgendwie ins Zimmer geschlichen hatte, indem sie dem Vieh kurzerhand ein Glas überstülpte und es aus dem Fenster bugsierte. Per beobachtete Annas Heldentat gähnend, was ihm einiges
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