Staub Im Paradies
den anderen?«
»Gret ist wohlauf und engagiert wie immer«, sagt er mir, was ich hören will, »der Rest tut, was er kann. Und Anna?«
»Der geht’s gut«, antworte ich. »Natürlich wirkt das Attentat auf ihren Kollegen noch nach, aber sonst ist sie recht munter.«
»Schön.«
»Einen neuen Freund hat sie gefunden, einen einheimischen Professor.«
»Du Ärmster!«, lacht er mich aus. »Ist er nett?«
»Ja, sehr«, sage ich.
»Freut mich, grüß sie von mir.«
»Mach ich. Also, wir hören voneinander. Und vielen Dank für deine Hilfe!«
»Gleichfalls«, sagt er und wir beenden das Gespräch.
Ich zwänge das Natel zurück in meine Hosentasche, als mich ein kleiner Junge forsch anspricht: »You have some money?«
Ich sehe, dass mehrere der Kricket-Jungs den Frechdachs von Weitem grinsend beobachten, und gebe ihm eine rostige Zweirupienmünze. Dann mache ich, dass ich wieder in den Jeep komme.
Fünf Stunden später warten wir immer noch auf das verfluchte Flugzeug aus Zürich. Der Katunayake Airport leidet offensichtlich nach wie vor unter den Folgen des Bombenangriffs auf den benachbarten Militärflugplatz. Ich schlürfe am x-ten überzuckerten Tee des Tages und resümiere, was ich zwischenzeitlich von den Leuten der Schweizer Botschaft erfahren habe: Die Militärs haben Rainer Schütz’ Leiche mittlerweile freigegeben; sie wartet in den Katakomben des Militärspitals im ärmlichen Viertel Slave Island darauf, abgeholt zu werden. Auf dem Totenschein sei lapidar von tödlichen Schussverletzungen die Rede, eine Autopsie habe man nicht für nötig gehalten. Schütz’ Vater könne den Metallsarg mit seinem toten Sohn also jederzeit in Empfang nehmen, eine junge Botschaftssekretärin werde ihn begleiten – ausgerüstet mit allen relevanten Papieren und dem Versprechen eines hohen Militärs, ein Konvoi der Armee werde für sicheres Geleit zum Flughafen sorgen.
Ansonsten sieht man vonseiten unserer Botschaft keinen Anlass für weitere Untersuchungen. Auch die eidgenössischen Beamten sehen in Schütz lediglich ein bedauernswertes ziviles Opfer der beklagenswerten politischen Turbulenzen in Sri Lanka. Man könnte meinen, General Premadasa habe unseren Leuten persönlich das Gehirn gewaschen. Die Beamtenschar ist angesichts der Flugverspätung ohnehin bereits wieder nach Cinnamon Gardens verschwunden, Colombos Reiche-Leute-Viertel, in dem auch die Schweizer Botschaft liegt. Zurückgelassen haben sie einzig eine junge Sekretärin, eine zarte, dunkelblonde Frau aus Montreux, die nervös an ihren Nägeln kaut und kaum gesprächiger ist als ein Kaninchen angesichts einer vor ihr aufgerichteten Königskobra.
Riccardo Salis immerhin ließ gerne mit sich plaudern. So erfuhr ich von ihm, dass Schütz ein wirklich blendender Schachspieler gewesen sein muss und sich seine Gegner auch außerhalb des Zentrums gesucht hat. Er soll mit einem schwerreichen Deutschen namens Müller gespielt haben, der rund eineinhalb Stunden außerhalb von Hamawella in einer alten Kolonialvilla wohnt. Und auch mit einem Titus Trüeb, einem hochrangigen Schweizer Mitarbeiter des IKRK, der an der Küste die immer noch laufende Tsunamihilfe koordiniert. Hat nicht Pers wirre Adrienne etwas von einem Hilfsgelderskandal gefaselt? Vielleicht sollte ich demnächst doch einmal mit ihr reden.
Im Moment allerdings wäre ich einfach froh, wenn das Flugzeug endlich käme. Ich habe keinerlei Lust, ausgerechnet in dem lauten und schmutzigen Colombo festzusitzen. Auch wenn Verasinghe hier Verwandte hat, bei denen wir seiner Meinung nach problemlos unterkommen könnten.
Mario jagt einen Flüchtling
Das Foto des Toten fiel ihm schließlich aus der Hand. Und dann sprintete der junge Tamile los. Er büxte einfach aus. Gret schnellte von ihrem Stuhl hoch und rannte dem Mann nach, durch zwei Schwingtüren, eine Treppe hinauf, einen engen, mit Getränkekisten vollgestellten Gang entlang. Mario folgte ihr, so schnell er konnte. Der Flüchtende riss Kisten zu Boden. Gret geriet ins Stolpern und kam fast zu Fall, aber Mario fing sie mit einem beherzten Griff unter den Arm auf.
»Stehen bleiben! Sofort!«, riefen sie hinter dem Tamilen her, aber die einzige Antwort, die sie erhielten, war das Getöse weiterer herunterfallender Kisten. Dafür verriet ihnen ein schmaler Lichtschein, dass der Mann offenbar eine Tür erreicht hatte, die ins Freie führte. Mario überholte Gret, drückte die Tür vollends auf und rannte nach draußen. Er griff nach seiner Pistole und
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