Staub zu Staub
seiner Enttäuschung präsentierte die Schublade nur einige Kugelschreiber und Bleistifte, ein Brillenetui, einen klobigen Schlüssel und jede Menge Büroklammern.
Aus der Bibliothek ertönte Daniels Stimme: „Komm mal her! Das hier sieht interessant aus.“
Max kehrte in die Bibliothek zurück. Daniels Lichtkegel beleuchtete eine Tapetentür, die kaum zu erahnen war.
„Verschlossen, und mein Schlüssel passt nicht. Aber sie scheint dünn zu sein. Wir könnten …“
Max unterbrach ihn mit einer Geste. „Im Fach des Arbeitstisches, den ich gerade demoliert habe, liegt ein Schlüssel. Versuchen wir es erst mal damit.“
Noch bevor er den Satz zu Ende geführt hatte, brachte Daniel den Schlüssel. Nach zwei Umdrehungen ließ sich die Tür öffnen. Die staubige Luft der Kammer, die von der Größe her eher an einen Aufzug erinnerte, roch muffig. Die Wände bestanden aus Bücherregalen, Mappen und lose Blätter stapelten sich auf dem Boden. Das Licht der Taschenlampe glitt über die Wälzer.
„Halt!“ Max hielt Daniels Hand zurück. Auf einem dunkelblauen Einband glänzten goldene hebräische Buchstaben. „Da. Sefer haTehillim.“
„Was soll das sein?“
„Das Psalmenbuch, ein Jugendwerk von Luzzatto. Und ich sehe hier auf Anhieb keine weiteren Bücher von ihm.“ Er stellte sich auf die Zehenspitzen und zog das Buch heraus. Mit dem Daumen ließ er die Seiten ablaufen, bis aus der Mitte ein gelbliches, zusammengefaltetes Papier herausfiel. Er hob das Blatt auf und horchte. Aus dem Korridor ertönten Schritte. Daniel stürzte aus der Kammer. Max steckte das Blatt ins Buch und eilte ihm hinterher.
Mirjam hatte Recht behalten: Daniel hatte ihn in eine Falle gelockt.
Von beiden Seiten des Flurs kamen Mönche auf ihn zu, die Gesichter von Kapuzen verborgen.
„Runter!“ Daniel riss Max zu Boden. Einen Wimpernschlag später bohrte sich ein Pfeil in den Türrahmen.
Max keuchte. „Sind die bescheuert? Sie schießen mit Betäubungspfeilen auf uns!“
Statt zu antworten, zog Daniel ihn zurück in die Bibliothek, nahm einen der Stühle und klemmte ihn unter die Klinke. Jemand rüttelte an der Tür und die Stuhlbeine verkeilten sich in den Dielen. Das Holz bebte unter den starken Einschlägen. Lange würde es nicht halten. Daniel sah sich um, der Lichtkegel seiner Taschenlampe zuckte. Er lief zum Fenster und riss es auf.
„Komm her! So gelangen wir zur Dachrinne und dann nach unten.“
Max betrachtete den handbreiten Sims. Auf einmal hatte er das Gefühl, die ganze Wand mit dem Fenster würde umkippen und ihn in die Tiefe ziehen.
„Nein. Ich kann das nicht.“
Daniel packte ihn am Arm. „Es ist mir egal, ob du kannst oder nicht. Du musst!“
„Lass mich los!“ Panik erstickte ihn. Er presste das Buch an seine Brust und lehnte sich gegen die Wand. „Ich kann nicht.“
Es krachte. Der Stuhl brach auseinander, die Tür flog auf und schlug gegen die Wand. Ein Mann mit einem Betäubungsgewehr drängte den Mönch vor ihm zur Seite und knipste das Licht an. Max blinzelte.
„Hallo Jonathan.“ Sein Gegenüber lächelte. „Mensch, bist du groß geworden. Wie geht’s deinen Gelenken?“ Die Worte fielen auf ihn herab wie der Hammer, der die Nägel in sein Fleisch geschlagen hatte. Der längst vergessene Schmerz flammte auf. Der Mann richtete die Waffe auf ihn. „Ja, so habe ich dich in Erinnerung. Du redest nicht mit jedem. Brauchst du auch nicht.“
Daniel stellte sich vor Max, zog seine Pistole und zielte auf den Mann. „Lassen Sie uns gehen!“
„Sonst noch was?“ Ein herablassendes Lächeln huschte über seine Lippen. Er übergab das Gewehr einem der Mönche. „Wissen Sie, Walters, ich denke, Sie haben die falsche Seite gewählt. Ich hätte Ihnen wirklich helfen können.“
Mit beiden Händen umklammerte Daniel seine Browning. Als er kurz über die Schulter schielte, las Max in seinen Augen das, was vermutlich auch ihrem Angreifer das Gefühl der Überlegenheit gab: Du sollst nicht töten. Mord ist eine Todsünde.
Der Mann spazierte auf Daniel zu, bis die Mündung der Pistole gegen dessen Brust stieß. „Beruhigen Sie sich, Walters, ist nicht gut für Ihren Blutdruck.“ Blitzartig drehte er ihm den Arm auf den Rücken. Daniel schrie und ließ die Browning fallen. Sein Gegner hob die Waffe auf. „Ich denke, das gehört mir.“ Mit dem Griff schlug er Daniel nieder und drückte ihm den Pistolenlauf an die Schläfe. „Gute Nacht, Walters.“
Max warf das Buch zur Seite. Das Biest in ihm
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