Staub zu Staub
ihre Silhouette.
„Gevurah“, schmetterte sie ihm ins Gesicht. Ihre blutüberströmte Hand legte sich um seinen Hals. Mit einem Ruck zog sie den Mönch auf die Beine. Er röchelte und versuchte verzweifelt, ihren Griff zu lockern.
… Vater unser im Himmel …
Seine Lippen bewegten sich immer schneller, während er sein Gebet stotterte. Mirjam stieß den Mann gegen die Wand und hauchte ihm ins Ohr: „Denn mein Wille geschehe. Ich erlöse dich von dem Bösen.“
Er wimmerte. Rotz bildete Blasen unter seiner Nase.
… Jesus Christus … Erbarme dich unser …
Mirjam presste ihre verletzte Hand an seinen Mund. Der Mönch schluckte Blut, bevor er lauter zu wimmern und sich in ihrem Griff zu winden begann. Vom Gesicht an bedeckte sich seine Haut mit Entzündungen, Flecken breiteten sich aus, verschmolzen miteinander. Sie ließ den Mann los. Er sackte auf den Boden, wälzte sich. Seine Fingernägel hinterließenlange Striemen, blutendes Fleisch kam zum Vorschein. Er strampelte sich aus seiner Kutte. Die Schreie steigerten sich zu einem Heulen, während seine Haut wie durch Säure verätzt wurde. Ein Zucken fuhr durch die freigelegten Muskeln. Seine Glieder erschlafften. Ein blutiges, gehäutetes Stück Fleisch lag auf dem Boden, das nur noch entfernt an einen Menschen erinnerte.
Mirjam keuchte. Über sich sah sie Kristins besorgtes Gesicht.
„Süße, beruhige dich. Es ist alles gut. Du hast nur schlecht geträumt.“
„Ich habe geschlafen?“ Mirjam strich sich über die verschwitzte Stirn und spürte Blut an ihren Fingern kleben. Sie schaute auf ihre Hand.
Nichts.
„Wie spät ist es?“ Sie richtete ihre verrutschte Bluse. Die nächtliche Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinströmte, kühlte ihre erhitzte Haut.
„Zwei Uhr nachts.“
Mirjam rieb sich die Augen. Sie hatte über anderthalb Stunden geschlafen? Der Traum kam ihr so kurz vor.
„Ist Max da?“
„Noch nicht.“
„Er müsste schon längst zurück sein! Was, wenn der Typ ihn verraten hat?“
„Dani? Ach was. Er hilft uns.“
„Wie kannst du ihm so vertrauen?“
„Wäre er nicht gewesen, würden wir beide tot unter Trümmern liegen. Er ist für uns in ein brennendes Haus gestürzt. Ja, doch, das lässt mich ihm vertrauen. Außerdem: Warum sollte er uns verraten? Er braucht uns.“
„Vielleicht gehörte das alles zum Plan! Vielleicht hat er Max inzwischen …“
Die Tür schlug auf und das Deckenlicht erhellte das Zimmer.
„… nach Hause gebracht.“ Im Türrahmen stand Daniel. Seine Motorradjacke war an einigen Stellen eingerissen, das T-Shirt darunter blutgetränkt. In einer Hand hielt er ein dunkelblaues Buch mit einer goldenen hebräischen Schrift, der andere Arm hing schlaff herunter.
Mirjam sprang auf. „Wo ist Max?“
„In seinem Zimmer. Er ist wieder okay.“
Sie wollte in den Flur hinauslaufen, doch Daniel stemmte die Hand gegen den Türpfosten und versperrte ihr den Weg.
„Stopp. Es gibt ein paar Sachen, die ihr wissen müsst.“
Er schloss die Tür und taumelte ins Zimmer. Kristin hastete zu ihm. „Bist du verletzt?“
„Nein.“ Er sank in den Sessel. Das Buch fiel auf den Boden. „Das Blut ist nicht meins. Das meiste jedenfalls nicht.“
Mirjam ahnte das Schlimmste. „Was ist im Kloster vorgefallen?“
„Ein Massaker. Jonathan – nun ja – er ist vollkommen ausgeflippt. Ich wünschte, ich hätte das nicht mit ansehen müssen.“
„Ein Massaker?“ Kristin legte die Hand auf seine Schulter, woraufhin er schmerzlich das Gesicht verzog. „Hat er dich geschlagen?“
„Gegen ein Buchregal geschleudert – ich stand zufällig im Weg. Andere Jungs dagegen kann man jetzt mit einem Spachtel von den Wänden abkratzen.“ Er würgte. „Mir wird übel, wenn ich bloß daran denke.“
„Was genau ist passiert?“, fragte Kristin sanft.
Er nickte zu dem Buch, auf dessen Einband Blutrinnsale und – wie Mirjam mit Entsetzen feststellte – Hautfetzen angetrocknet waren. „Wir haben die Schrift gefunden und wurden von Tilse und ein paar Mönchen überrascht. Danach ging alles sehr schnell. Tilse wollte mich erschießen, aber Jonathan hat ihn von mir geschleudert. Und kurz später verlor er die Kontrolle über sich. Für einen Moment dachte ich, er würde auch mich umbringen.“
„Hat er aber nicht“, entgegnete Mirjam schroff.
„Nein. Ich habe ihn mit einem Stuhlbein auf den Kopf gehauen. Ein paar Mal. Es hat ihn durcheinander gebracht und dann war er wieder er selbst, wenn auch total fertig.
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