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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Sie schwingen dann anders. Und du kannst sie normalerweise nicht mehr sehen.“
    Daniel senkte den Blick und verschränkte die Hände im Schoß. Seine Brille rutschte zur Nasenspitze. „Ich dachte, der Glaube ist etwas Spirituelles. Und du kommst mir mit Physik. Da kann ich lange nach Erleuchtung suchen. Habe im Physikunterricht auch nie eine bekommen.“
    „Erleuchtung ist der Aufstieg zu einer höheren Wahrnehmungsebene. Es gibt viele Techniken, unter anderem auch die Meditation, die dazu dient, den menschlichen Geist zu erweitern. Aber das wichtigste ist, dem eigenen Weg zu folgen. Deinen musst du noch finden.“ Er zögerte. „Du bist ihm näher, als du denkst.“
    Daniel lehnte den Kopf gegen das Seitenfenster. Sein Atem beschlug die Scheibe. „Du bist kein Mensch, nicht wahr?“
    Das Auto ruckte in ein Schlagloch und erinnerte Max an die Tatsache, ein Audi und kein Traktor zu sein. Enttäuscht schaute er zurück auf die Straße. Es tat ihm weh zuzusehen, wie Daniel im Ledersitz kauerte und Linien an das Fenster malte, ohne die unsichtbare Hand zu bemerken, die ihn aus der Dunkelheit führen konnte.
    Hören sollt ihr. Hören, aber nicht verstehen
. Wieso versuchte er es immer wieder, wenn keiner ihn annehmen wollte? In seinen Erinnerungen – waren es wirklich seine Erinnerungen, oder einfach nur Träume? – erhob sich das Toben und Johlen der Massen:
Kreuzige ihn! Lass ihn kreuzigen!
Wie jetzt Daniel, hatte er den Menschen seine Hilfe angeboten.
    „Kannst du auch die Zukunft sehen?“ Daniels Stimme brachte ihn zurück zur Realität.
    Zukunft … Der Weg, beleuchtet von den Scheinwerfern, begann zu verblassen, die Umrisse der Bäume dehnten und streckten sich. Andere Motive liefen mit einer irren Geschwindigkeit ab, wie beim Vorspulen. Eine Erscheinung gewann immer mehr die Oberhand. Grell und schwarzweiß zuckte sie vor seinem Auge wie ein alter Film: Eine asphaltierte Straße und ein platt gedrückter Körper mit einem langen Schwanz.
    Er verscheuchte das Bild. „Die wahrscheinlichste, ja.“ Ein Schwindelanfall überkam ihn, der Preis für die kleine Offenbarung. Max ließ das Fenster heruntergleiten. „Gibst du mir bitte den Traubenzucker aus dem Handschuhfach?“
    Daniel erblasste. „Was hast du gesehen?“ Mit zittrigen Fingern fummelte er aus dem Süßigkeitenkarton ein Plättchen und reichte es ihm.
    „Dass nicht alle für Ratten bremsen. Aber da Menschen einen Freien Willen haben, tritt das nur mit 98 prozentiger Wahrscheinlichkeit ein.“ Max pellte die Folie ab und knabberte an dem Zucker. Die Welt gewann wieder Konturen, während sein Blut die Glucose zum Gehirn pumpte. „Du kannst dich immer anders entscheiden.“ Er hoffte, der Junge würde es doch noch verstehen. Für einen Moment kam es ihm vor, Daniel wolle etwas sagen, sogar beichten, doch dann wandte er sich wieder dem Seitenfenster zu.
    Am Straßenrand tauchte aus der Dunkelheit ein Flurkreuz auf. Efeuranken hatten sich darum gewickelt, als wollten sie den Stein erwürgen und unter die Erde ziehen.
    „Wir sind bald da.“ Daniel wischte das Linienmuster mit dem Ärmel von der Scheibe. „Lass uns den Rest zu Fuß gehen.“
    Max wendete das Auto und parkte es in einer Mulde zwischen Büschen. Bevor er ausstieg, holte er unter dem Sitz die Pistole hervor und reichte sie Daniel.
    „Hier. Aber wenn du mich noch einmal erschießt, komme ich wieder und reiße dir den Kopf ab.“
    „Du gibst sie mir? Warum?“
    „Bisher hattest du eine ausgezeichnete Quote. Eine Kugel – ein Treffer.“
    „Vor Schreck höchstens.“ Zögernd steckte Daniel die Pistole hinter den Gürtel.
    „Dani? Wenn du mir etwas sagen willst – dann jetzt.“
    Er wich seinem Blick aus. „Es ist alles in Ordnung. Ehrlich.“
    Still lag der Wald. Der Geruch von Moos und Laub erfüllte die Luft. Sie schlichen durch knöchelhohe Blaubeersträucher. Das Nass der Blätter durchtränkte den Rand von Max’ Hosenbeinen.
    Bald tauchte eine Bruchsteinmauer mit einem Eisentor auf. Daniel sah sich um und holte den Schlüsselbund aus der Tasche. Während das Schloss rasselte, spürte Max die Gefahr, die ihre Fühler ausstreckte, aber im Wirrwarr seiner Empfind-ungen entglitten ihm die Fäden, noch bevor er die Quelle orten konnte. Vielleicht hätte er die Waffe doch lieber behalten sollen?
    Daniel schlüpfte durch den Torspalt. Max folgte ihm. „Wo hast du den Schlüssel her?“
    „Der Laden gehört quasi meinem Vater. Schon vergessen?“
    Plötzlich packte er Max am Arm

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