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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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vorne.
    „Max, für dich.“
    Er nahm das Telefon entgegen. „Helmgren. Åke, hast du schon ein Hotel für uns besorgt? Das ist prima. Danke dir und bis dann. Ich melde mich wieder.“ Er gab das Handy zurück. „Nun ist diese Frage erledigt. Diesmal bekommen wir zwei Doppelzimmer. Vorhin hat er übrigens gemeint, ihn hätte heute ein gewisser Schöbel angerufen, der sich nach mir erkundigt hat.“
    Mirjam erstarrte. „Und was hat er ihm gesagt?“
    „Dass ich einen Urlaub in meiner Waldhütte am Virihaure mache.“
    Mirjam schmunzelte. Max mit seiner Geige allein im Wald konnte sie sich kaum vorstellen. Er wirkte mehr wie ein Jetsetter. Doch der Gedanke gefiel ihr. „Du hast eine Waldhütte?“
    „Mein Refugium. Nicht weit vom samischen Dorf Staloluokta. Wenn ich die Schnauze voll habe, fliehe ich dort hin. Im Sommer kann man es nur zu Fuß oder mit einem Hubschrauber erreichen. Nach den letzten Ereignissen bin ich langsam reif dafür.“
    „Dein Agent ist wirklich klasse.“
    „Åke ist mehr als mein Agent, er ist meine Familie. Als er mich zum ersten Mal für ein Wochenende zu sich eingeladen hat, haben Evy, seine Tochter, und ich uns heftig in die Haare gekriegt.“ Er schmunzelte. „Fast wie Geschwister und alles wegen einem
Ges
. Kurz später hat Åke mir beigebracht, anderen die eigene Meinung nicht so an den Kopf zu knallen, auch wenn sie richtig sein mag.“
    Das Handy klingelte erneut. Kristin murmelte ‚bin ich hier die Telefonzentrale?’ und ging ran. Eine Weile brachte sie keinen weiteren Ton heraus und Mirjam glaubte, jemand hätte sich verwählt, als ein ersticktes ‚Ja’ folgte und kurz darauf ein kaum hörbares ‚ich habe verstanden’.
    „Wer war das?“, fragte Mirjam, nachdem Kristin das Gespräch beendet hatte.
    „Niemand. Max, halte den Wagen an.“
    Bei nächster Gelegenheit lenkte Max den Audi von der Autobahn. Noch bevor Mirjam ihren Gurt gelöst hatte, eilte Kristin zum Toilettenhäuschen. Mirjam vertrat sich die Beine, indem sie vor dem Auto hin und her ging. Nicht weit entfernt stand ein alter Volvo. An einem Holztisch neben Brombeerbüschen saß ein älteres Paar. Die Frau goss Tee aus einer Thermoskanne in einen Plastikbecher, während ihr Mann sich ein gekochtes Ei in den Mund stopfte.
    Max hatte sich gegen die Motorhaube gelehnt und entfernte die Folie von einem Traubenzuckerplättchen. Es gelang ihm nicht sofort.
    „Du sieht sehr müde aus. Soll ich vielleicht weiterfahren?“, bot Mirjam an.
    „Es ist nicht mehr so weit. Und du musstest heute viel mehr ertragen.“
    Sie schmiegte sich an ihn, lehnte den Kopf gegen seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ein dumpfer, ruhiger und ganz gewöhnlicher Ton. Wie sollte ihre Beziehung weitergehen? Sie träumte sich in eine einsame Waldhütte, die schon jetzt auch zu ihrem Refugium wurde, wenn auch nur gedanklich. Firihaüre – so hatte er es ausgesprochen. Der Name brachte das Flüstern der Baumkronen mit sich, das Glitzern des Wassers und die Frische des Waldes. Sie, Max und die Ruggieri – allein in der Vollkommenheit der Natur. Sie hörte seinem Herzschlag zu, der durch sie pochte und mit dem ihren verschmolz. Der Herzschlag eines Engels.
    Was, wenn Max ihr genommen würde? Wenn er einfach verschwand, sich in ihrer Umarmung auflöste, sobald er seine Aufgabe erfüllt hatte? Was musste sie tun, um ihn an sich zu fesseln? Aber welches Recht besaß sie überhaupt, ihn nur für sich zu beanspruchen?
    Daniels bellender Husten riss sie aus der Träumerei. Der Kerl beugte sich aus dem Auto. Sein Gesicht färbte sich knallrot wie eine chinesische Laterne. Mit zittrigen Fingern fuhr er sich über die Lippen. Max schob Mirjam sanft zur Seite, kniete sich vor Daniel und betrachtete das Blut auf dessen Fingerkuppen.
    „Seit wann?“
    „Seit heute“, krächzte er. „Ist aber nicht schlimm.“
    Ein neuer Hustenanfall ließ ihn fast aus dem Auto fallen und seine Hand rutschte von der Türklinke ab. Max stützte ihn und half ihm aus dem Wagen. Daniel krümmte sich auf dem Asphalt. Bei jedem Krampf schnellten Blut- und Speicheltropfen aus seinem Mund und benetzten Max’ weißes Hemd.
    Das Pärchen am Tisch beobachtete das Schauspiel. Die Frau rümpfte leicht die Nase, der Mann kaute sein zweites Ei mit dem Gesichtsausdruck eines Kamels, dessen Interesse an Heu für einen Moment von etwas Anderem abgelenkt wurde. Und Mirjam überkam der Drang, die beiden durchzurütteln und anzuschreien, was ihnen einfiel, einen Sterbenden so

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