Staub zu Staub
zu ignorieren.
Als Kristin Mirjam aus der Klinik abgeholt hatte, fuhren sie hier vorbei. Kristin verschwand für ein paar Minuten im Haus, dafür erschien Daniels Mutter. Vermutlich besaß die Frau einen Riecher für Katholischfremde, denn sie beugte sich zum geöffneten Autofenster und startete einen Missionierungsversuch, wobei sie sich vor Verzückung fast überschlug. Mirjam hatte einfach das Fenster hochgekurbelt, was die Frau keineswegs von ihrer Predigt abgehalten hatte.
„…Petra gesagt“, flötete diese weiter. „Wir versuchen, den Menschen aus ihren Krisen herauszuhelfen. Vielleicht kommst du nächstes Mal mit? Es wird dir gefallen.“
„Danke, ich habe schon einen Psychiater meines Vertrauens“, presste Mirjam heraus und folgte der Frau ins Wohnzimmer. Hier musste sie vorsichtig einen Fuß vor den Anderen setzen, um nicht auf überall verstreuten Blättern auszurutschen oder Bücherstapel umzukippen.
Daniel lag auf dem Sofa, leichenblass, mit geschwollenen Gelenken und eingefallenen Wangen. Seinen Kopf hatte er auf Kristins Schoß gebettet. Der Fernseher lief und Mirjam bekam einen Satzfetzen des regionalen Nachrichtensprechers mit: „…noch keine Spur. Sein Agent Åke Larsson setzte eine Belohnung von eintausend Euro aus, für jeden hilfreichen Hinweis zur Auflösung des Verschwindens des Geigers. Maximilian Helmgren war …“
Eilig schaltete Kristin um. „Oh, Mirjam, du bist ja schon da.“
Daniel nickte nur zur Begrüßung. Kein Lächeln huschte über seine Lippen, als hätte er es schon längst verlernt. Seine Mutter rauschte am Tisch vorbei, der zwischen dem Fernseher und dem Sofa stand, und räumte Bücher vom Sessel.
„Komm Mirjam, setz dich doch.“ Sie klopfte auf die Sitzfläche, blickte zu Kristin und bemerkte das halb leere Glas am Tischrand. „Oh. Moment, ich bringe dir lieber die ganze Flasche.“
„Nicht nötig“, erwiderte Kristin kühl. „Ich weiß, wo die Küche ist.“
Sie strich Daniels Haar nach hinten und küsste ihn auf die Stirn.
„Fein.“ Die Frau hastete aus dem Zimmer. Kurz später huschte sie am Fenster vorbei und kniete sich neben ihre Fuchsien. Mirjam schüttelte den Kopf. Diese Frau! Sie hatte kein einziges Mal ihren Sohn angesehen, als existiere er gar nicht.
Mirjam setzte sich in den Sessel und sah zum Fernseher. Auch auf diesem Sender liefen Nachrichten.
„…gemeldet etwa 8000 Aidstote pro Tag.
Im Nordirak riss ein Hubschrauber-Absturz 14 US-Soldaten in den Tod. Die Ursache ist noch nicht bekannt.
In der Stadt Baidschi, etwa 200 Kilometer nördlich von Bagdad, sprengte ein Selbstmordattentäter einen Tanklaster in die Luft. Nach Angaben der Behörden starben 20 Menschen, 40 weitere wurden schwer verletzt.
Nun zum Wetter. Nach Verwüstungen auf der Insel Martinique rast der Hurrikan ‚Dean’ auf die mexikanische Halbinsel Yucatan zu. Den Meteorologen zufolge, ist ‚Dean’ einer der schwersten Hurrikans der letzten 19 Jahre.
Starke Regen und Gewitter in den US-Bundesstaaten Iowa, Wisconsin, Oklahoma und Minnesota sorgen für Überschwemmungen, die bereits 20 Menschen das Leben kosteten. Der Senatorin Sharon Erickson Ropes nach – ich zitiere – ist das die größte Katastrophe, die den Südosten Minnesotas seit einer Generation heimgesucht hat.
In Griechenland dagegen wüten starke Waldbrände. Das Land rief bereits den Notstand aus …“
Mirjam vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Kristin, schalte das aus.“
Das Gerät verstummte. Daniel starrte auf den schwarzen Fernseher. „Krieg, Tod, Krankheit … Die Apokalypse hat begonnen, es wird mit jedem Tag schlimmer, aber keiner merkt es. Meine Güte, und wir sitzen hier, beobachten, wie die Welt zugrunde geht, und können nichts tun.“
„Krieg, Tod und Krankheit gab es auch früher. Es muss noch nichts heißen.“ Kristin zog eine von Daniels Locken bis zu seiner Nasenspitze. „Liebes, du musst zum Friseur.“
„Hast du nicht gesagt, du fändest Bobtails so niedlich?“ Daniel hustete. Als er wieder zu Atem kam, begann er an den Fingern abzuzählen: „Vor kurzem das Erdbeben in Peru, jetzt Dean, Waldbrände in Griechenland, Niedersachsen säuft zusammen mit den USA ab – kommt es dir nicht verdächtig vor, dass all das fast auf einen Schlag geschieht, nachdem Tilse die Siegel gebrochen und die apokalyptischen Reiter losgelassen hat? Der Weltuntergang passiert nicht an einem Tag. Der Schöpfer hat Zeit.“
Seine Augen wirkten matt und auf eine unheimliche Art leblos. Er
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