Staub zu Staub
Zeit.
Das Licht strömte auf Mirjam herab. Gierig saugte sie es auf. Sie atmete das Feuer. Es brannte und pulsierte, konzentrierte sich zu einem winzigen Punkt irgendwo in ihrem Inneren.
Das Universum zog sich zurück und Mirjam nahm den Kerker wahr. Mit Max vereint, beugte sie sich über Friedmann und pustete ihm ihren Atem in den Mund.
Chesed
– Die Güte. Die Güte des Herrn.
Das Licht floss aus ihr in den toten Mann. Zusammen mit dem Licht verließ sie die Kraft und Mirjam fühlte sich ausgelaugt und unendlich müde.
Netzach
– Der Sieg. Der Sieg über den Tod.
Friedmann keuchte und bäumte sich auf. Ziellos schweifte sein Blick voller Angst umher.
„Wo bin ich?“
„Papa.“ Daniel hob seinen Oberkörper an, stützte ihn. „Es wird alles wieder gut. Ich bringe dich nach Hause. Okay?“ Mirjam kuschelte sich an Max. Er umarmte sie. Seine Hände schenkten ihr Geborgenheit. Mit ihm zusammen hätte sie den Rest ihres Lebens sogar in diesem Kerker verbringen können.
„Ach ja. Danke.“ Daniel grinste und klopfte Max auf die Schulter. „Krass. Mein bester Freund ist der Teufel.“
„Dein bester Freund ist einfach nur Max, höchstens Jonathan – da habe ich mich noch nicht entschieden. Merk es dir, wenn du willst, dass ich deine Lunge und Nieren repariere.“ Er nahm ihm die Brille ab. „Und da wir schon dabei sind, die Kurzsichtigkeit auch.“
Daniel salutierte. „Yes, Sir.“
Max nahm Mirjams Hand. „Ich zeige dir, wie das geht.“
Es krachte, irgendwo polterten Steine herunter. Kristin zuckte zusammen. „Vielleicht machen wir lieber draußen weiter? Ich befürchte, das Haus stürzt ein.“
„Das ist eine gute Idee.“ Daniel setzte die Brille auf und half seinem Vater auf die Beine. Kristin nahm das Feuerzeug und ging voran. Auf der Schwelle drehte sich Mirjam um und blickte zu Tilse, der kicherte und etwas in den Staub auf dem Boden zeichnete.
„Ben Azzai, Ben Zoma, Aher und Akiva gingen in den Prades. Ben Azzai hat den Garten erblickt und ist gestorben. Ben Zoma hat den Verstand verloren …“
„Was ist mit ihm eigentlich?“, fragte sie Max.
„Ich habe ihm Allwissenheit versprochen. Und ich halte meine Versprechen.“
„Allwissend sieht er nicht gerade aus.“
„Ist er aber. Sein Gehirn kann so eine Datenmenge nicht verarbeiten und blockiert alles.“
Kurz überlegte Mirjam, ob sie Tilse mit nach draußen nehmen sollte. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, doch er begann wild um sich zu schlagen und zu kreischen: „Aher! Aher! Aher … lief herum, schnitt Blumen und fand nicht zurück! Nicht zurück! Nicht zurück!“ So ließ sie ihn in Ruhe.
Das Erdbeben hatte den Kellergang nicht beschädigt. Vorne stampfte Kristin, das Feuerzeug über dem Kopf haltend wie die Freiheitsstatue.
Die Eingangshalle dagegen war zerstört. Steine und Tragbalken hatten die Treppe und die Galerie einstürzen lassen. Nur ein Kruzifix hing noch an der Wand, umgekehrt, und schaukelte im Wind, der durch das Loch im Dach pfiff. Als Mirjam und Max aus dem Keller schritten, fiel das Kreuz auf den Boden und zerbrach.
Durch den Unrat kämpften sie sich aus dem Haus. Schwarze Wolken bedeckten den Himmel und ließen kein Sonnenlicht durch. Es stürmte nicht mehr, nur einzelne Tropfen fielen von den Bäumen und Mirjam schüttelte sich, als einer davon ihren Nacken entlang rann.
Auf dem Hof lagen große Äste verstreut, die Kiefern standen mit niedergedrückten Zweigen, als wären es Hände, die ein Ermüdeter gesenkt hatte. Der kalte Wind schmiegte ihre nassen Klamotten an ihren Leib. Max legte die Arme um sie und schenkte ihr seine Wärme, als sich über den Hof Licht ergoss. Grell und seltsam rein.
„Dieses Licht … “, hauchte sie und eine ungeahnte Euphorie erfasste ihre Sinne. „Es ist so … wunderschön. “
Stimmen schwollen in der Stille des Waldes an, woben einen Bann um sie. Stimmen, die sie zu gut kannte. Nur diesmal sprachen sie nicht zu ihr.
Du hast die Gnade des Herrn abgewiesen. Aber seine Barmherzigkeit ist unerschöpflich. Komm zurück und er wird dir vergeben
.
„Nein.“ Er trat dem Licht entgegen. „Ich habe mich für meinen Weg entschieden. Ich gehe nicht zurück.“
Du weißt, was die Strafe für deinen Fall ist. Es wird dein Untergang sein
.
„Egal was mit mir geschieht. Diese Menschen tragen keine Schuld. Es war allein meine Entscheidung.“
Die Menschenkinder tragen keine Schuld
, bestätigten die Stimmen nach kurzen Zögern.
Du allein wirst
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