Staub zu Staub
ich es satt!“ Sie streifte ihren Ring vom Finger und warf ihn auf den Couchtisch. Das goldene Ding klimperte, während es immer enger werdende Kreise auf der Ober-fläche zog. „Morgen nehme ich Lisa und fahre zu meiner Mutter. Komm mir nicht nach!“
„Du verlässt mich?“ Tilse hatte das Gefühl, als gleite Sandra ihm durch seine feuchten Handflächen.
„Ich will die Scheidung.“
„Aber das kannst du nicht machen! Ich verstehe das alles nicht. Warum?“
„Du bist katholisch. Oder was auch immer. Ich nicht.“
„Sandra!“, rief er, als ein dünnes Stimmchen ihn zusammenzucken ließ.
„Streitet ihr schon wieder?“ Lisa kam in ihrem rosafarbenen, bodenlangen Nachthemd heran. Mit den Fäusten rieb sie sich die Lider und drückte dann ihren Marini an ihre Brust.
Sandra schob ihr Kinn vor. „Ganz prima. Jetzt hast du die Kleine geweckt. Na los, verabschiede dich wenigstens von ihr, bevor du morgen früh wieder zur Arbeit musst.“ Sie rauschte an ihm vorbei aus dem Zimmer.
Tilse ließ sich auf das Sofa fallen. Seine Beine hielten ihn nicht mehr, die Kraft strömte aus ihm wie aus dem Leck einer Luftmatratze. Lisa krabbelte auf seinen Schoß.
„Papa? Mama hat gesagt, dass wir Urlaub bei Oma machen. Ich will nicht. Bei ihr riecht es immer so komisch.“
Er umarmte seine Kleine und vergrub das Gesicht in ihren Locken. Seine Schultern zuckten, Tränen benetzten seine Wangen und er konnte nichts dagegen machen.
„Papa?“, bebte das Stimmchen. „Warum weinst du, Papa?“
Lisa stimmte in sein Weinen ein.
Kapitel 5
Kristin kämpfte mit dem Hamburger Stadtplan, der wesentlich leichter aus-einander als zusammenzufalten war.
„Duuuu?“ Sie spähte über den Rand der Karte und rümpfte ihre Knollennase. „Ich glaube, wir sind hier falsch.“
„Echt jetzt?“, brummte Mirjam. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte zehn vor elf. Wieso musste sie immer zu spät kommen? „Sag mir lieber, wo wir hin müssen.“ Sie hielt den Wagen an einer engen Kreuzung an, beugte sich vor und inspizierte die Querstraßen. „Links oder rechts?“
„Ich bin doch kein Navi!“
„Du hast den Stadtplan! Oder ist das eine Decke zum Warmhalten?“
„Ich hab keinen Bock mehr!“ Kristin knüllte die Karte zusammen und be-förderte sie auf die Rückbank. „Hast du noch die Visitenkarte? Ruf ihn an und frag.“
„Um zu hören, wie er sich über zwei orientierungslose Frauen totlacht?“
„Ah ja. Verstehe. Na vielleicht finden wir seine Wohnung durch Zufall.“
„Schon gut, schon gut.“ Mirjam zog die Visitenkarte aus der Jeanstasche und schnippte sie herüber. „Hier. Das Handy findest du in der Ablage.“
„Feigling!“ Kristin zeigte ihr die Zungenspitze und fischte unter Bonbonhüllen und Kassenzetteln das Handy heraus. „Oder denkst du, er wird dich beißen?“ Sie zwinkerte ihr zu und tippte die Nummer ein. „Vielleicht sogar auffressen? Das haben berühmte Musiker so an sich, kleine Mirjams aufzufressen.“ Sie hielt inne. „Äh - Herr Helmgren? Hier ist … ja, genau! Ich fürchte, wir haben uns ein bisschen verirrt. Hm. Hm. Ja, ich kann Ihnen noch folgen. Okay, verstanden. Danke!“ Sie legte das Handy zurück zwischen die Bonbonhüllen. „Na, siehst du? Ging ganz schnell und tat überhaupt nicht weh.“
„Vor lauter Begeisterung hast du vergessen, ihm zu sagen wo wir sind.“
„Hab ich nicht.“ Kristin zog eine Schnute und studierte das blauweiße Straßenschild. „Jarrestraße! Er hatte Recht. Jetzt nach links, nach links!“
Mirjam bog ab. Unter Kristins euphorischer Führung steuerte sie ihren VW durch die schmalen Straßen. Schon bald begegneten ihnen teure Mode-Boutiquen und nach fünf Minuten erreichten sie das Ziel. Neben einer Parklücke, direkt vor der richtigen Hausnummer, hielt Mirjam ihre Klapperkiste an. Nachdenklich in-spizierte sie den Platz zwischen einem silbergrauen Jaguar und einem schwarzen Audi.
„Was ist?“, fragte Kristin. „Da passen zwei ausgewachsene Elefanten dazwischen. Mach schon, wir sind eh spät dran. Er hat bestimmt nicht den ganzen Tag Zeit.“
Mirjam legte den Rückwärtsgang ein und zwängte ihren Wagen in die Parklücke, aber plötzlich rutschte ihr Fuß von der Bremse und der VW küsste den Audi.
„Mist!“ Mirjam sprang aus dem Auto. In der schwarzen Lackierung des schicken Wagens zogen sich hässliche Kratzer und das Nummernschild war leicht verbeult.
Dieser Knutschfleck würde teuer sein. Und wenn die Versicherung sie noch höher
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