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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Bücherschränken vorbei und strich mit dem Finger über die Einbände.
    „Interessant. Was ist Il Decamerone?“
    „Klingt italienisch.“
    „Guck ma - Don Quixote. Das sagt sogar mir was.“ Sie zog den Wälzer heraus, runzelte die Stirn und las stockend vor: „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha. Na, das kommt mir aber ziemlich Spanisch vor.“ Sie steckte das Buch zurück. „Ha! The Silence of the Lambs. Sieh mal einer an, der Kerl liest Thomas Harris.“
    Bevor Mirjam etwas erwidern konnte, öffnete Kristin eine Schranktür, spähte hinein und hauchte: „Wow! Ich glaube, ich spinne.“ Unter Mirjams pro-testierendem Winken holte sie die Figur einer goldenen Hand heraus, die einen U-förmigen Gegenstand hielt. „Ist das etwa die goldene Stimmgabel? Die echte?“
    „Keine Ahnung. Was genau soll das sein?“
    „Ein Musikpreis. Letztes Jahr haben den Tokio Hotel und Rosenstolz gewon-nen, glaube ich.“
    Mirjam grinste. „Okay, dann würde ich das Ding auch lieber verstecken. Stell es zurück und hör endlich auf, in seinen Schränken zu wühlen.“ Sie warf sich im Sofa zurück. An der Wand glänzten ihr von schwarzem Samtpapier eingerahmte gol-dene Lettern entgegen:
    Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich
.
    „Rainer Maria Rilke - Die Erste Duineser Elegie.“ Der Geiger war geräuschlos ins Zimmer getreten. Er kniete vor dem Tisch, verteilte Porzellantassen und stellte eine Kristallplatte mit Plätzchen ab. „Ergreifend, nicht wahr?“
    Mirjam bemerkte, wie Kristin den Musikpreis schnell hinter ihrem Rücken ver-schwinden ließ und heimlich auf einem Regal abstellte.
    „Eher düster.“
    „Einigen wir uns vielleicht auf tiefgründig?“ Er lächelte ihr zu. „Rilke hat gern seine Gedichte erklärt. In einem Brief an Witold Hulewicz hat er geschrieben:
Der Engel der Elegien ist dasjenige Wesen, das dafür einsteht, im Unsichtbaren einen höheren Rang der Realität zu erkennen. – Daher „schrecklich“ für uns, weil wir, seine Liebenden und Verwandler, doch noch am Sichtbaren hängen
. “ Der Musiker neigte den Kopf, als würde er ein Gemälde bewundern. Einige Strähnen fielen ihm in die Stirn. Er strich sie zurück. „Verwandlung ist das Schlüsselwort in Rilkes Lyrik. Ist das nicht fas-zinierend?“
    „Nein.“ Die Zeilen geisterten in ihrem Kopf herum und es gelang ihr nicht, sie abzuschütteln:
Wer, wenn ich schriee, hörte mich
.
    Er schaute ihr in die Augen. „Vergiss es. Ich habe einen leichten Hang zum Klugscheißen, aber es tut nicht weh und vergeht von alleine.“
    Er neigte wieder den Kopf, weswegen seine Haarsträhne ihm zurück in die Stirn rutschte und Mirjam streckte ihre Hand aus, in einem verrückten Wunsch, ihm das Haar zur Seite zu streichen. Wie absichtlich zwängte Kristin sich an ihnen vorbei und brach den Zauber.
    „Können wir vielleicht lieber über einen gewissen Lateinspruch klugscheißen?“ Sie plumpste nieder und das Sofa beschwerte sich mit einem klagenden Knarzen.
    Der Geiger zwirbelte an seinem Kettchen. „Es bedeutet ‚Zwischen Hoffnung und Furcht’.“ Er setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich, zog die Tasse am Untersetzer heran und löffelte Zucker in den Kaffee. „Wird einem Jesuiten und Missionar aus Mainz, Anselm Eckart, zugeschrieben. Achtzehntes Jahrhundert.“
    Er rührte um und Mirjam räusperte sich. „Es sind sieben Löffel Zucker da drin.“
    Verschwörerisch flüsterte er ihr zu: „Ich weiß. Hatte sogar ein MVG in Mathe.“
    „Was ist ein MVG?“, flüsterte sie zurück und spürte wieder diese Vertrautheit zwischen ihnen.
    „Mycket väl godkänd – sehr gut bestanden.“ Er grinste. „Siehst du, ich bin nicht nur ein Klugscheißer, sondern auch noch ein Angeber. In welchem Zusam-menhang hat euer Pater den Spruch gebracht?“
    Mirjam wollte betonen, dass es nicht
ihr
Pater war, als sie vor ihrem geistigen Auge das Gesicht des alten Mannes sah. Entsetzt stellte sie fest, wie verblasst seine Züge waren. Nur seine Stimme spukte noch klar in ihrem Kopf. Sie spürte sogar seinen Griff, wie er sie an sich heranzog und ihr Worte ins Ohr wisperte:
Sie waren hier und haben ihn gesucht. Aber noch einmal werde

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