Staub zu Staub
ihn mir irgendwie blonder vorgestellt.“ Kristin musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Und älter. Ist er schwul oder verheiratet?“ Mirjam versetzte ihr einen Hieb in die Rippen. „Was?“ Kristin hob eine Augenbraue. „Typen mit seinem Aussehen sind in der freien Wildbahn nur in diesen beiden Zuständen anzutreffen.“
„Ick fürchte, er is schon vajeben.“ Der Dirigent schmunzelte in seinen Bart und ergänzte in einem Ton, der alles erklären sollte: „Ruggieri is ihr Name.“
Die Brünette? Mirjam seufzte. Bestimmt. Die gleiche Liga wie er. Vermutlich eine Italienerin.
„Wie auch immer. Komm.“ Sie zog Kristin fort, bevor diese noch eine weitere Weisheit von sich geben konnte. „Wir wollen ihn befragen, nicht heiraten.“
„Och, an mir hätte es nicht gelegen.“
Doch mit jedem Schritt wurde ihr Gang unsicherer und die Knie weicher. Wie sollte sie ihn ansprechen? Würde sie das überhaupt hinbekommen, ohne zu stottern? Noch vor wenigen Minuten war seine Gegenwart so viel einfacher zu genießen.
Seine Ruggieri umarmte ihn, flüsterte ihm etwas ins Ohr und hauchte einen Kuss auf seine Wange. Endlich löste sie sich von ihm und stolzierte zum Ausgang auf ihren hohen Absätzen.
Mirjam holte tief Luft und fummelte an ihrer Strickjacke. Zum Glück stand er mit dem Rücken zu ihr und sah ihre Verlegenheit nicht.
„Hey“, wisperte sie und hätte sich gleich ohrfeigen können. Was fiel ihr ein, ihn so von der Seite anzuheyen?
„Vad kan jag stå till …“ Er drehte sich um. „Was rede ich da. Hej heißt Hallo auf Schwedisch. Ich dachte … Naja. Ich soll wohl weniger denken. Nun auf gut Deutsch: Womit kann ich dienen?“ In seinen Augen funkelte es heiter. „Wenn Sie sich wegen des Anrempelns Sorgen machen, da kann ich Sie beruhigen. Mein Fuß ist noch dran.“
Er wirkte so vertraut, als hätten sie schon im Sandkasten Förmchen geteilt. Erst Kristins Räuspern machte Mirjam auf die lange Pause aufmerksam. Sie senkte die Wimpern und knetete ihre Finger.
„Äh. Ja. Es mag vielleicht seltsam klingen, aber sagt Ihnen der Name Preschke irgendwas?“
Er runzelte die Stirn. „Muss er?“
„Nein, muss er nicht.“
Was hatte sie erwartet? Sie trat zurück und stieß gegen Kristin, die nicht so schnell aufgab.
„Wirklich nicht? Er hat alle Ihre Konzerte gesammelt.“
Er lächelte. Mirjam seufzte - wieder galt sein Lächeln nicht ihr.
„Es freut mich, wenn meine Musik ihn so begeistert.“
„Der alte Mann ist gestern gestorben“, warf Kristin ihm entgegen.
Sein Gesicht wurde ernst. „Tut mir Leid, aber ich kannte ihn wirklich nicht. Wieso fragen Sie danach?“
„Max!“, schallte es durch den Flur und übertönte alle anderen Gespräche. Eine Blondine stürmte auf ihn zu, drängte Mirjam und Kristin zur Seite und ergriff seine Hand. „Du warst großartig. Du warst einfach großartig! Es ist jammerschade, dass du uns verlässt. Aber was soll’s, es war klar, dass wir dich nicht ewig festhalten können. Wir sollten unbedingt zusammen Kaffee trinken gehen. Was sagst du?“
Er versuchte seine Hand zu befreien. Sein Gesicht wirkte gequält und daran waren bestimmt nicht die engen Schuhe schuld.
„Ähm, also, heute ganz bestimmt nicht mehr.“
Die Blondine kicherte. „Nein, nein. Bei deinem Terminkalender rechne ich eher in Monaten.“
Von der anderen Seite kam ein älteres Paar herangeschlendert. Der Mann hüstelte in die Faust und fummelte an dem Programmheftchen. „Herr Helmgren? Könnten Sie bitte das für uns signieren? Für Oswald und Silke.“
„Natürlich.“ Er reichte ihm seine Geige und den Bogen. „Halten Sie das bitte kurz.“
Mirjam zog an Kristins Ärmel. „Ich glaube, wir sind hier fertig.“
„Noch nicht.“ Sie befreite ihren Ärmel aus Mirjams Griff. „Ähm - hallo? Hej? Sagt Ihnen der Spruch Inter spem et metum irgendetwas?“
Der Kugelschreiber verharrte über dem Programmheftchen. „Woher …“ Er schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. „Woher kennen Sie den Spruch?“
„Es geht um Pater Preschke“, beeilte Mirjam zu erklären. „Wissen Sie, er hat etwas Seltsames erzählt, vor seinem Tod. Unter anderem auch das mit dem Spruch. Wenn Sie etwas darüber wissen …“
„Nicht hier.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Smokings und reichte sie ihr. „Morgen, elf Uhr. Würde Ihnen das passen?“
Die Blonde beobachtete erbittert die Übergabe der Karte. Mirjam las die Adresse. Sierichstraße. In der Nähe der
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