Staub zu Staub
Habe ich das richtig verstanden: Schöbel? Was macht dieses Arschloch hier?“
„Er gehört zu Friedmanns Leuten. Komm jetzt.“
„Warte doch.“ Sie half dem Typen hoch und klopfte ihm den Dreck von der Jacke. „Wie heißt denn mein Schutzengel?“
Mirjam kam ihm zuvor, bevor er einen Ton herausbringen konnte. „Als er Max erschossen hat, habe ich ganz vergessen, nach seinem Namen zu fragen.“
Kristin hielt inne, während der Typ sie anstarrte, als würde er gleich wie vor seiner Jungfrau Maria auf die Knie fallen, um Buße zu tun. Auch zerzaust und in zerrissenen Kleidern hatte sie etwas Erhabenes an sich. Ihre Stimme dagegen klang weinerlich.
„Max ist tot? Ist das wahr? Wie … wie konnte das passieren?“
„Es war ein Unfall. Ich …“
„Du Dreckskerl!“ Kristin ohrfeigte ihn. Der Typ schnaubte und beugte sich nach vorn. Sie knallte ihm noch eine. Er wich zurück und rieb sich ein Auge.
„Heulst du jetzt oder wie?“ Mirjam nahm Kristin an der Hand. Der Rauch ließ ihre Augen tränen, sie konnte kaum noch etwas sehen.
„Ich habe meine Kontaktlinse verloren. Ich bin kurzsichtig. Aber ich nehme an, das interessiert dich nicht.“
„Ganz genau.“ Sie zog Kristin mit sich aus der Abstellkammer in den Werkzeugraum, stolperte im Dunkeln über die Bruchstücke. Die eingebrochene Decke behinderte den Weg. Die Kellertreppe war zersplittert, durch den Türrahmen schlichen Hitze und Rauch. Der Typ schob sich an Mirjam vorbei. Er sprang hoch, klemmte sich an den Rand der oberen Stufe und baumelte mit den Beinen. Seine Schuhspitzen rutschen an der Wand ab. Endlich gelang es ihm, sich heraufzuziehen. Er streckte seine Hand aus. Mirjam rümpfte die Nase.
„Na wird’s bald? Du musst mir schon ein wenig helfen, dich hier rauszuholen.“
Widerwillig packte sie sein Handgelenk und ließ sich nach oben zerren. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, auch Kristin aus dem Keller zu befördern. Im halb eingefallenen Flur loderten Flammen und leckten mit heißen Zungen über Wände und Decken. Glühende Luft drohte ihre Lunge zu verbrennen. Zu dritt, hustend und keuchend, krochen sie zum Ausgang. Über ihren Köpfen krachte etwas.
„Vorsicht!“
Der Typ riss Mirjam an der Taille zurück. Ein brennender Träger stürzte herunter und versperrte den Ausgang. Funken stoben in die Höhe.
Max!
, rief sie in Gedanken.
Bitte hilf uns. Lass uns hier nicht sterben
.
Warum antwortete er nicht? Warum überließ er sie seinem Mörder?
Bitte hilf uns!
„Wir müssen drunter durch“, beschloss der Kerl.
„Bist du verrückt?“, stammelte Kristin. „Da werden wir verbrennen.“
„Hier werden wir das mit Sicherheit. Für andere Vorschläge bin ich offen.“
Er zog seine Jacke über den Kopf und robbte unter dem Balken durch. Mirjam folgte ihm. Die Hitze blendete sie, unbeholfen tastete sie umher und spürte Flam-men, die ihre Haut ansengten. Der Typ griff nach ihren Armen und zog sie zu sich.
Kristin kauerte sich auf dem Boden zusammen. Über ihr knarzte die Decke, ein weiterer Träger löste sich und rutschte ein Stück nach unten. Asche rieselte herunter.
„Kristin!“, rief Mirjam. „Komm! Schnell!“
Kristin schob sich unter dem Balken durch. Ihr Rücken streifte das brennende Holz und sie verzog das Gesicht. Wenige Sekunden später taumelten sie aus dem Haus oder dem, was davon noch übrig war. Gierig sog Mirjam die frische Luft ein, die wie Balsam in ihre Lunge strömte.
Kristin fuhr sich durch das Haar. „Der schlimmste Tag meines Lebens.“
Ihre Wange war leicht versengt. An Stirn und Händen trug sie Abschürfungen. Die Haarspange hatte sie verloren, ihre Frisur, mit einer dicken Staubschicht bepudert, ähnelte einem Krähennest.
Der Kerl holte eine Linse aus seinem rechten Auge und schnippte sie fort. „Wir sollten schnellstmöglichst verschwinden.“ Aus der Innentasche seiner Jacke fummelte er eine Brille hervor.
Mirjam ertastete den Autoschlüssel in ihrer Jeans und schleppte sich zu den Scheunen, hinter denen der Audi stand. Die Autoscheinwerfer blinkten auf, wie sie schon Hunderte von Male Max begrüßt hatten. Schwermütig öffnete sie die Fahrertür.
Max? Bitte, geh nicht fort
. Keine Antwort.
Max!
Er sprach nicht mehr mit ihr. Womöglich nie wieder? Ein Zittern erfasste ihren Körper. Der Schlüssel entglitt ihren Fingern und fiel in den Staub. Sie schlug mit der Faust auf das Autodach ein. „Nein!“, schluchzte sie. „Wieso lässt du mich jetzt allein?“ Kristin wollte sie
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