Staub zu Staub
Mark und zwang sie, aufzu-schauen. Sein Haar wehte im Wind, weiß, fast silbern. Er hob die Arme und fuhr mit den Fingern durch die Wolken, während scharlachrote Schuppen seine Haut bedeckten. „Gefällt es dir, was du aus mir gemacht hast?“
Hinter seinem Rücken schlugen Flügel und die Federn verschmolzen zu Fleder-mausschwingen. Sieben Drachenköpfe schwangen über ihr und fletschten messer-scharfe Zähne. Auf jedem Haupt glänzte eine goldene Krone und zehn säbel-förmige Hörner stachen empor. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll entlud sich den Kehlen und erschütterte den Boden. Aus Rissen in der Erde loderte Feuer.
Hure!
, knisterten die Flammen und schleuderten Mirjam Glut ins Gesicht.
Hure! Hure!
Die Pranke des Drachens sauste auf sie nieder. Mirjam kreischte. Die Klaue griff nach ihr und warf sie auf den Rücken des Tieres. Sie krallte sich in die Schuppen, doch die gemächlichen Bewegungen des Drachens beruhigten sie. Sie spürte seine Muskeln, die Kraft, die in ihnen steckte, und spannte die Oberschenkel im Takt seines Ganges an.
Purpursamt kleidete ihren Körper, mit Perlen und Edelsteinen beschwert und verschnürte ihr die Kehle. Ihr Kopf dagegen fühlte sich leicht an, als hätte sich ihr Geist vom Körper gelöst. Sie lachte dem schwarzen Himmel entgegen, betrunken von ihrer Gier und Lust.
Hure! Hure!
, pochte der Boden.
„Ihr habt das Feuer verdient!“, lachte sie, prostete mit einem goldenen Becher und nahm einen großen Schluck Blut.
Mirjam riss die Augen auf und schmeckte Blut auf ihrer Zunge.
Wie tief bist du gefallen? Wie tief …?
Nein, es war bloß ein Albtraum! Die ganzen Weltvernichtungsgeschichten, die letzten Ereignisse hatten ihr doch mehr zugesetzt, als sie zugeben wollte. Sie leckte sich über die Lippen. Sie schmeckten nach Salz. Zwischen ihren Zähnen knirschten Sandkörnchen. Nein, unmöglich!
Es klopfte an der Tür. Und gleich wieder, diesmal kräftiger.
Kein Pochen der Erde, keine Stimmen, die sie der Hurerei bezichtigten, bloß ein Klopfen. Mirjam knipste die Nachttischlampe an und das schummrige Licht ergoss sich ins Zimmer. In die Bettdecke gehüllt tapste sie zur Tür.
Draußen stand Kristin. Ihre Gesichtszüge wirkten schlaff, die Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.
„Kannst du auch nicht schlafen?“
Mirjam zögerte. Woher diese Sinneswandlung, diese Wärme in der Stimme? Gleichzeitig freute sie sich, endlich mit Kristin reden zu können, ihr nah zu sein wie damals beim Backen der Challes-Brote. „Komm rein.“
Zusammen krochen sie ins Bett.
„Du hast gesagt, ich soll mich entscheiden.“ Kristin zupfte an einer ihrer karottenfarbenen Strähnen. „Das kann ich nicht. Ich will mein Leben zurück. Ich will an keine höheren Mächte glauben, ich will alles wie früher.“
„Du musst einfach vertrauen. Dem Ewigen.“
„Diesem bärtigen Mann auf einer Wolke, der Wind auf die Erde pustet? Ha!“
„Das ist eine sehr primitive Ansichtsweise.“
„Max macht mir eine Heidenangst.“ Kristin rieb sich die Oberarme. „Findest du es nicht gruselig, wenn ein paar Türen weiter ein Toter herumläuft?“
„Er ist nicht tot.“ Mirjam holte tief Luft. „Und ich glaube, ich habe mit ihm geschlafen.“ Sie musste es jemandem erzählen, um mit ihren Zweifeln nicht länger allein zu sein. Wem außer Kristin konnte sie sich anvertrauen? Nicht mal ihr Rabbi würde es verstehen.
„Du glaubst, was?“
„Ich bin mir nicht sicher. Es ist alles sehr seltsam.“ Die Erinnerung daran, Max in sich zu spüren, erschreckte sie in ihrer Intensität.
Mirjam! Hör auf. Bitte. Es ist kein Spiel … Du hast keine Ahnung, was du damit anrichtest
.
Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht
.
Wenn du so weiter machst …
Dann hast du keine Wahl. Ich will dich
.
Er hatte versucht, sie aufzuhalten. Wurden ihre Träume erfüllt, weil er sich ihrem Willen beugen musste? Wie damals in der Gasse, als sie ihn mit ihrem Wunsch zum Töten gezwungen hatte?
Kristin öffnete den Mund, schloss ihn wieder und sagte erst nach mehreren Sekunden: „Äh. Okay. Und wie war es denn so?“
Mirjam schmunzelte. „Wie Sex während einer Achterbahnfahrt.“
„So kurz?“
„Mit so viel Kick.“ Das Knistern des Feuers rauschte in ihren Ohren:
Hure! Hure!
Schnell schob sie hinterher: „Also, in einer Achterbahn habe ich es natürlich nie getan. Es war wie ein Traum, den ich mir so sehr herbeigewünscht habe. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto realer fühlt es sich an.“ Sie
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