Staub
gleich eine Kostprobe davon zu spüren kriegen. Scarpetta klopft nachdrücklich mit der Messingananas an die Eingangstür und überlegt, was sie tun soll, wenn die Frau sich weigert aufzumachen oder wenn sie – wie Fielding – so tut, als wäre sie nicht zu Hause. Wieder klopft sie mit der Ananas an, diesmal langsamer und fester.
Wegen des Unwetters nähert sich die Dunkelheit rasch wie eine Wand aus schwarzer Tinte. Scarpetta kann ihren eigenen Atem sehen, als sie im Platzregen auf der Veranda steht und immer wieder anklopft. Ich bleibe einfach hier, denkt sie. Du kannst dich nicht drücken. Glaube bloß nicht, dass ich mich umdrehe und einfach weggehe. Sie nimmt ihr Mobiltelefon und einen Zettel aus der Manteltasche und wirft einen Blick auf die Nummer, die sie sich bei ihrem gestrigen Besuch hier notiert hat. Damals, als sie noch ruhig und freundlich mit dieser Frau gesprochen und Mitleid mit ihr gehabt hat. Sie wählt und hört, wie drinnen im Haus das Telefon läutet. Dann lässt sie wieder die Ananas gegen die Tür krachen. Es ist ihr egal, ob der Türklopfer dabei kaputtgeht.
Nach einer weiteren Minute wählt sie noch einmal. Drinnen läutet und läutet das Telefon, und sie hängt ein, bevor der Anrufbeantworter anspringt. Du bist da, denkt sie. Also tu nicht so, als wärst du es nicht. Scarpetta tritt von der Tür zurück und betrachtet die erleuchteten Fenster an der Vorderfront des kleinen Backsteinhauses. Die zarten weißen Vorhänge sind zugezogen und werden von innen von einem weichen, warmen Licht erhellt. Sie sieht eine menschliche Silhouette am Fenster vorbeihuschen, die innehält und dann kehrtmacht und verschwindet.
Wieder klopft sie an die Tür und wählt dann noch einmal die Nummer. Als erneut der Anrufbeantworter anspringt, bleibt Scarpetta am Apparat und sagt: »Mrs. Paulsson, hier spricht Dr. Kay Scarpetta. Bitte machen Sie die Tür auf. Es ist sehr wichtig. Ich stehe vor Ihrem Haus. Ich weiß, dass Sie da sind.« Sie beendet das Telefonat und klopft wieder. Der Schatten erscheint, diesmal am Fenster links von der Tür. Dann geht die Tür auf.
»Ach, du meine Güte!«, ruft Mrs. Paulsson in gespieltem Erstaunen – allerdings nicht sehr überzeugend – aus. »Ich wusste nicht, wer es ist. Was für ein Unwetter! Kommen Sie rein, Sie sind ja ganz nass. Ich mache nie auf, wenn ich nicht weiß, wer draußen steht.«
Scarpetta tritt tropfend ins Wohnzimmer und zieht den langen, dunklen klatschnassen Mantel aus. Kaltes Wasser rinnt aus ihrem Haar. Als sie die feuchten Strähnen aus dem Gesicht schiebt, bemerkt sie, dass es so nass ist, als käme sie gerade aus der Dusche.
»Mein Gott, Sie werden sich noch eine Lungenentzündung holen«, sagt Mrs. Paulsson. »Aber was rede ich. Schließlich sind Sie die Ärztin. Kommen Sie in die Küche, ich gebe Ihnen etwas Warmes zu trinken.«
Scarpetta sieht sich im winzigen Wohnzimmer um. Sie betrachtet die kalte Asche und die verkohlten Holzscheite im Kamin, das karierte Sofa unter dem Fenster und die Türen auf beiden Seiten des Wohnzimmers, die in andere Teile des Hauses führen. Als Mrs. Paulsson bemerkt, was Scarpetta da tut, tritt ein harter Ausdruck in ihr Gesicht, das fast hübsch, aber auch billig und derb wirkt.
»Warum sind Sie hier?«, fragt Mrs. Paulsson mit veränderter Stimme. »Was wollen Sie? Ich dachte, es wäre wegen Gilly, aber jetzt merke ich, dass es offenbar nicht so ist.«
»Ich bin nicht sicher, ob überhaupt je ein Mensch wegen Gilly hier war«, entgegnet Scarpetta. Sie steht mitten im Wohnzimmer, hinterlässt Pfützen auf dem Parkett und schaut sich unverhohlen um.
»Sie haben nicht das Recht, so was zu sagen«, zischt Mrs. Paulsson. »Ich glaube, Sie sollten jetzt besser gehen. Leute wie Sie will ich nicht in meinem Haus haben.«
»Ich bleibe. Rufen Sie doch die Polizei, wenn Sie möchten. Aber ich werde erst verschwinden, nachdem wir uns über die letzte Nacht unterhalten haben.«
»Ich sollte wirklich die Polizei verständigen. Nach dem, was dieses Ungeheuer mir angetan hat. So viel habe ich durchgemacht, und dann kommt jemand, nutzt das aus und hält sich an einem trauernden Menschen wie mir schadlos. Ich hätte es wissen müssen. Er sieht ganz danach aus.«
»Nur zu«, erwidert Scarpetta. »Rufen Sie ruhig die Polizei. Ich habe auch eine Geschichte zu erzählen, und zwar eine ziemlich spannende. Wenn es Sie nicht stört, schaue ich mich jetzt ein bisschen um. Ich weiß, wo Gillys Zimmer und die Küche sind. Und wenn
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