Staub
hier?« Sie wirft Scarpetta einen verschlagenen Blick zu, und Neugier glimmt in ihren Augen auf.
»Ich habe zwar etwas mit ihm, aber das ist eine Sache, die Sie vermutlich niemals verstehen würden. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich auch Anwältin bin? Interessiert es Sie, was mit Leuten passiert, die jemanden fälschlicherweise eines tätlichen Übergriffs oder einer Vergewaltigung bezichtigen? Waren Sie schon mal im Gefängnis?«
»Sie sind bloß eifersüchtig. Jetzt durchschaue ich Sie.« Mrs. Paulsson grinst selbstzufrieden.
»Jeder hat ein Recht auf seine Meinung. Aber vergessen Sie das Gefängnis nicht, Mrs. Paulsson. Denken Sie daran, was geschieht, wenn Sie Vergewaltigung schreien und alle Beweise Sie als Lügnerin bloßstellen.«
»Keine Sorge, das werde ich nicht tun«, sagt sie, und ihre Züge werden hart. »Mich vergewaltigt man nicht. Die sollen es nur versuchen. Was für ein Riesenbaby. Mehr kann ich über ihn nicht sagen. Ein Baby. Ich dachte, es könnte lustig mit ihm werden. Tja, das war wohl ein Irrtum. Sie können ihn behalten, Mrs. Doktor oder Anwältin oder was Sie auch sonst sein mögen.«
Als der Kaffee fertig ist, fragt Scarpetta, wo die Tassen stehen. Mrs. Paulsson nimmt zwei Tassen und zwei Löffel aus einem Schrank. Sie trinken Kaffee, und dann beginnt Mrs. Paulsson zu weinen. Sie beißt sich auf die Unterlippe. Tränen treten ihr aus den Augen und laufen über ihr Gesicht. Sie schüttelt den Kopf.
»Ich gehe nicht ins Gefängnis«, sagt sie.
»Mir wäre es auch lieber, wenn Sie nicht ins Gefängnis müssten«, erwidert Scarpetta und trinkt einen Schluck Kaffee. »Warum haben Sie das getan?«
»Was Menschen miteinander machen, ist persönlich.« Sie weicht ihrem Blick aus.
»Wenn Sie jemandem blutende Wunden und Blutergüsse zufügen, ist das nicht persönlich, sondern eine Straftat. Stehen Sie auf Sex mit Gewalt?«
»Anscheinend sind Sie ganz schön prüde«, entgegnet Mrs. Paulsson, schlendert zum Tisch und setzt sich. »Es gibt offenbar eine Menge Sachen, von denen Sie noch nie gehört haben.«
»Das könnte stimmen. Also erzählen Sie mir von Ihrem Spiel.«
»Fragen Sie ihn doch selbst.«
»Ich weiß, was Marino zu Ihrem Spiel zu sagen hat, zumindest dem von letzter Nacht.« Scarpetta trinkt einen Schluck Kaffee. »Sie machen das schon seit einer Weile, richtig? Hat es mit Ihrem Ex-Mann angefangen? Mit Frank?«
»Ich bin nicht verpflichtet, mit Ihnen zu reden«, erwidert sie, immer noch am Tisch sitzend. »Und ich sehe auch keinen Grund dazu.«
»Sie meinten, Frank könnte etwas über die Rose wissen, die wir in Gillys Kommode gefunden haben. Was sollte das heißen?«
Sie schweigt verstockt, sitzt mit wütender, hasserfüllter Miene am Tisch und umfasst die Kaffeetasse mit beiden Händen.
»Mrs. Paulsson, denken Sie, dass Frank Gilly etwas angetan hat?«
»Ich hab keine Ahnung, von wem die Rose ist«, sagt sie und starrt auf dieselbe Stelle an der Wand wie bei Scarpettas gestrigem Besuch. »Ich weiß nur, dass sie nicht von mir ist. Vorher war sie nicht da, wenigstens nicht in ihrem Zimmer, jedenfalls habe ich sie nicht dort gesehen. Und ich hatte erst am Tag zuvor Wäsche und andere Dinge in ihre Schubladen geräumt. Gilly war recht unordentlich, und ich musste ständig hinter ihr herräumen. Aber ich habe nie eine Rose gesehen. Sie hätte nie selbst etwas weggeräumt, und wenn es um ihr Leben gegangen wäre.« Mrs. Paulsson bricht ab und starrt wieder schweigend an die Wand.
Scarpetta wartet ab, ob sie etwas hinzufügen wird. Doch etwa eine Minute lang herrscht bedrückende Stille.
»Am schlimmsten war es in der Küche«, fährt Mrs. Paulsson schließlich fort. »Sie nahm Lebensmittel aus dem Kühlschrank und vergaß sie einfach auf der Anrichte. Sogar Eiscreme. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Essen ich wegwerfen musste.« Trauer malt sich in ihrem Gesicht. »Und Milch. Ständig habe ich Milch weggeschüttet, weil sie sie den halben Tag lang draußen stehen ließ.« Ihre Stimme hebt und senkt sich und beginnt zu zittern. »Wissen Sie, wie es ist, wenn man ununterbrochen hinter jemandem herräumt?«
»Ja«, erwidert Scarpetta. »Das ist einer der Gründe, warum ich geschieden bin.«
»Tja, Frank ist nicht viel besser«, meint sie und blickt ins Leere. »Bei den beiden war ich nur am Aufräumen.«
»Was, glauben Sie, könnte Frank Gilly angetan haben, falls es überhaupt so war?«, fragt Scarpetta, wobei sie sich Mühe gibt, die Frage so zu
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