Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
nicht mehr vorhanden, obwohl er sich noch im Raum befindet. Also geht er. Da er ohnehin nicht existiert, kann er sich genauso gut verdrücken. Durch die schwere dunkle Tür tritt er auf den mit Kies bestreuten Parkplatz hinaus in die Dunkelheit, wo entlang des Gehwegs schwarze Olivenbäume und Palmen stehen. Er verharrt im dichten Schatten der Bäume und blickt zur Shell-Tankstelle auf der anderen Seite der Twenty-Sixth Avenue North hinüber, wo die riesige Muschel leuchtend gelb in die Nacht strahlt. Er spürt die warme Brise und findet es angenehm, einfach ein paar Minuten lang dazustehen und hinzuschauen.
    Die erleuchtete Muschel erinnert ihn wieder an die Plastikorangen. Er weiß nicht, warum. Es könnte daran liegen, dass seine Mutter ihm das Getränk immer an Tankstellen gekauft hat. Es wäre nachvollziehbar, wenn sie ihm hin und wieder ein Orangensaftgetränk für zehn Cent das Stück besorgt hätte, jeden Sommer, als sie von Virginia nach Vero Beach in Florida gefahren sind, um ihre Mutter zu besuchen, die förmlich im Geld erstickte. Er und seine Mutter übernachteten immer in einem Motel namens Driftwood Inn. Er erinnert sich nur noch, dass es wirklich aussah, als wäre es aus Treibholz gebaut, und dass er nachts auf derselben Luftmatratze schlief, auf der er sich tagsüber im Meer treiben ließ.
    Da die Luftmatratze nicht sehr groß war, hingen seine Arme und Beine über den Rand, als ob er in den Wellen paddelte. Er schlief im Wohnzimmer, während seine Mutter sich hinter die verschlossene Tür des Schlafzimmers zurückzog. Die einzige Klimaanlage ratterte im Fenster ihres verriegelten und verrammelten Schlafzimmers. Er weiß noch, wie warm ihm war und wie er schwitzte. Seine sonnenverbrannte Haut klebte am Gummi der Luftmatratze, sodass es sich anfühlte, als würde ein Pflaster abgerissen, wenn er sich bewegte. Die ganze Nacht, eine ganze Woche lang. Das war der Urlaub, der einzige, den sie jedes Jahr machten, und zwar im Sommer, immer im August.
    Pogue beobachtet, wie sich Scheinwerfer nähern und Heckleuchten entfernen. Helle weiße und rote Augen, die in der Nacht vorbeisausen. Dann blickt er nach links und wartet darauf, dass die Ampel umspringt. Als es so weit ist, wird der Verkehr langsamer. Pogue trottet über die freie Fahrbahn, die nach Osten führt, und schlängelt sich zwischen den Autos auf der Fahrbahn nach Westen durch. An der Shell-Tankstelle schaut er zu der hellgelben Muschel hinauf, die hoch über ihm in der Dunkelheit schwebt. Er beobachtet einen alten Mann in ausgebeulten Shorts, der an einer Zapfsäule Benzin tankt, und einen anderen alten Mann in einem zerknitterten Anzug an einer anderen Zapfsäule. Pogue hält sich im Schatten und pirscht zur Glastür. Ein Glöckchen erklingt, als er hineingeht und schnurstracks auf die Getränkeautomaten im hinteren Teil des Raumes zusteuert. Die Frau hinter der Theke kassiert gerade eine Tüte Chips, ein Sixpack Bier und eine Tankfüllung Benzin und würdigt ihn keines Blickes.
    Neben dem Kaffeeautomaten befindet sich der Colaautomat. Er nimmt fünf der größten Plastikbecher mit Deckel und geht damit zur Kasse. Die Becher sind mit bunten Comicfiguren bedruckt, die Deckel sind weiß mit einer kleinen Tülle zum Trinken. Er legt Becher und Deckel auf die Theke.
    »Haben Sie das Orangensaftgetränk in den Plastikorangen mit grünen Strohhalmen?«, fragt er die Frau hinter der Theke.
    »Was?« Stirnrunzelnd greift sie nach einem Becher. »Die sind ja leer. Möchten Sie denn nichts zu trinken kaufen?«
    »Nein«, erwidert er. »Ich brauche nur die Becher und die Deckel.«
    »Wir verkaufen keine Becher.«
    »Mehr brauche ich aber nicht«, entgegnet er.
    Sie späht über ihre Brille, um sein Gesicht zu betrachten, und er überlegt, was sie wohl sieht, wenn sie ihn so anschaut. »Wir verkaufen aber keine leeren Becher.«
    »Ich hätte auch lieber das Orangensaftgetränk, wenn Sie das dahaben«, gibt er zurück.
    »Was für ein Orangensaftgetränk?« Sie wird ungeduldig und gereizt. »Sehen Sie den großen Kühlschrank da hinten? Wir haben nur, was da drin steht.«
    »Das Getränk ist in Plastikflaschen abgefüllt, die wie Orangen aussehen. Und es ist ein grüner Strohhalm dabei.«
    Ihre finstere Miene wird von Erstaunen abgelöst, und ihre grell geschminkten Lippen teilen sich zu einem breiten Lächeln, das ihn an einen Halloweenkürbis erinnert. »Ach, du heiliger Strohsack, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Dieses komische Orangensaftgetränk.

Weitere Kostenlose Bücher