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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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nach ihrem Tod? Das sieht gar nicht gut aus«, sagt er.
    Sie zuckt innerlich zusammen und verspürt eine Übelkeit, die sie inzwischen als Angst identifizieren kann. Momentan ist eine Verunreinigung oder eine falsche Etikettierung die einzig logische Erklärung. Das passiert beides viel öfter, als man meinen möchte. Dazu braucht man nur einen Asservatenbeutel oder ein Teströhrchen in den falschen Umschlag zu stecken oder ins falsche Regal zu legen beziehungsweise eine Probe mit einem falschen Aufkleber zu versehen. Fünf Sekunden Unachtsamkeit oder Verwirrung genügen, und das Beweisstück stammt entweder aus einer Quelle, die keinen Sinn ergibt, oder, noch schlimmer, es gibt Antworten auf eine Frage, die den Verdächtigen auf freien Fuß setzt oder ihn vor Gericht, ins Gefängnis oder gar in die Gaskammer bringt. Scarpetta erinnert sich an den Soldaten aus Fort Lee, der versucht hat, der dicken Frau das falsche Gebiss in den Mund zu zwängen. Man braucht nur einen Moment unaufmerksam zu sein.
    »Ich begreife trotzdem nicht, warum du Benton nicht um Rat fragst«, sagt Marino und greift nach einem Glas Wasser, das neben dem Bett steht. »Was spricht eigentlich dagegen, dass ich mir ein paar Bierchen genehmige?«
    »Und was spricht dafür?« Sie hat Aktenordner auf dem Schoß und blättert ziellos in den Kopien der Berichte herum, um festzustellen, ob etwas, das sie bereits über Gilly und den Traktorfahrer weiß, ihr vielleicht plötzlich die Augen öffnet. »Alkohol stört den Heilungsprozess. Außerdem war er in letzter Zeit nicht unbedingt dein Freund.«
    »In der vergangenen Nacht nicht.«
    »Bestell dir, was du willst. Ich mache dir keine Vorschriften.«
    Er zögert, und sie ahnt, dass er sich Anweisungen von ihr wünscht. Aber sie wird sie ihm nicht geben. Aus Erfahrung weiß sie, dass es Zeitverschwendung ist, und sie hat keine Lust, als Copilotin zu fungieren, wenn er wie ein außer Kontrolle geratener Jagdbomber durchs Leben trudelt. Marino betrachtet das Telefon und die Hände auf seinem Schoß und greift dann nach dem Wasserglas.
    »Wie geht es dir?«, fragt sie und blättert um. »Möchtest du noch ein Advil?«
    »Mir geht es gut. Nichts, was ein paar Biere nicht in Ordnung bringen würden.«
    »Das ist deine Sache.« Sie blättert noch einmal um und überfliegt die lange Liste von Mr. Whitbys zerquetschten und beschädigten Organen.
    »Bist du sicher, dass sie nicht die Polizei ruft?«, fragt Marino.
    Sie spürt seinen Blick auf sich. Seine Augen strahlen dieselbe leichte Hitze ab wie eine Glühbirne, und sie kann ihm seine Angst nicht zum Vorwurf machen. Allein die Anschuldigungen wären sein Untergang, daran gibt es nichts zu rütteln. Seine Karriere im Dienst von Recht und Gesetz wäre zu Ende, und es ist durchaus möglich, dass eine Jury in Richmond ihn für schuldig erklärt, weil er ein großer, kräftiger Mann ist und weil Mrs. Paulsson das Talent hat, Hilflosigkeit vorzutäuschen und Mitleid zu erregen. Schon der Gedanke an sie macht Scarpetta wütend.
    »Das wird sie nicht«, erwidert sie. »Ich habe ihr auf den Kopf zu gesagt, dass sie lügt. Heute Nacht wird sie von den wunderbaren Beweisen träumen, die ich aus ihrem Haus entfernt habe. Und auch von dem Spiel. Sicher will sie nicht, dass die Polizei oder sonst jemand von dem kleinen Spiel oder den Spielen erfährt, die sie in ihrem Häuschen treibt … Ich muss dich was fragen.« Sie blickt von den Papieren auf ihrem Schoß auf. »Glaubst du, dass Mrs. Paulsson sich so verhalten hätte wie gestern Nacht, wenn Gilly noch leben würde? Natürlich sind das nur Mutmaßungen, aber was sagt dir dein Bauch?«
    »Ich denke, sie tut, was ihr gefällt«, entgegnet er tonlos und voller Abscheu. Seine Empörung wird ein wenig von Scham gedämpft.
    »Erinnerst du dich, ob sie betrunken war?«
    »Sie war total high«, erwidert er. »Sie schwebte irgendwo.«
    »Nur vom Alkohol, oder hat sie vielleicht sonst was genommen?«
    »Ich habe nicht gesehen, dass sie Tabletten eingeworfen, was geraucht oder sich was gespritzt hätte. Aber mir ist wahrscheinlich eine ganze Menge entgangen.«
    »Jemand muss mit Frank Paulsson reden«, meint Scarpetta mit einem Blick in einen anderen Bericht. »Abhängig davon, was wir morgen rauskriegen, könnten wir ja Lucy um Hilfe bitten.«
    Ein listiger Ausdruck huscht über Marinos Gesicht, und er lächelt zum ersten Mal seit Stunden. »Gute Idee. Sie ist ja Pilotin. Hetzen wir sie dem Perversen auf den Hals.«
    »Genau.«

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