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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Leben betrunken. Die Vorstellung, betrunken zu sein, macht ihm Angst, und er kann keinen Bleeding Sunset oder ein anderes alkoholisches Getränk zu sich nehmen, ohne jedes Schlückchen mitzuzählen und sich das Hirn über die Folgen zu zermartern. Außerdem achtet er auf seine Figur, und Alkohol ist ein Dickmacher. Seine Mutter war dick und wurde immer dicker, was eine Schande war, denn früher war sie einmal hübsch gewesen. Das liegt in der Familie, pflegte sie zu sagen. Wenn du dich weiter so voll stopfst, wirst du schon noch sehen, was ich meine. Am Bauch fängt es meistens an.
    »Ich hätte gern noch einen«, sagt Edgar Allan Pogue in den Raum hinein.
    Die Other Way Lounge besteht aus einem sehr kleinen Raum, in dem Holztische mit schwarzen Decken stehen. Auf den Tischen befinden sich zwar Kerzen, doch all die Male, die er schon hier war, haben sie noch nie gebrannt. In der Ecke gibt es einen Billardtisch, doch er hat noch nie jemanden daran spielen sehen, und er hat die Vermutung, dass sich die Kundschaft nicht für Billard interessiert und dass der zerkratzte Tisch mit der roten Filzbespannung ein Überbleibsel aus einer früheren Epoche ist. Wahrscheinlich war die Other Way Lounge einmal eine ganz andere Art von Lokal. Nichts bleibt, wie es ist.
    »Ich glaube, ich hätte gern noch einen«, wiederholt er.
    Die Frauen, die hier arbeiten, sind Hostessen, keine Kellnerinnen, und möchten auch so behandelt werden. Die Herren, die in der Other Way Lounge vorbeischauen, rufen die Damen nicht mit einem Fingerschnippen herbei, weil sie Hostessen sind und Respekt verlangen. Pogue hat den Eindruck, dass sie ihm beinahe einen Gefallen tun, indem sie ihn überhaupt hereinlassen und ihm erlauben, sein Geld für ihre klebrigen blutroten Bleeding Sunsets auszugeben. Sein Blick schweift durch die Dunkelheit und bleibt an der Rothaarigen hängen. Sie trägt einen dünnen, kurzen schwarzen Pulli, unter den eigentlich eine Bluse gehören würde. Der Pulli bedeckt kaum, was er bedecken sollte, und Edgar Allan hat noch nie gesehen, dass sie sich aus einem praktischen Grund vorgebeugt hätte, wie zum Beispiel um eine Tischdecke abzuwischen oder ein Getränk abzustellen. Wenn sie sich vorbeugt, dann nur, damit ausgewählte Männer etwas zu sehen kriegen, solche, die gutes Trinkgeld geben und die richtigen Sprüche draufhaben. Der Pulli hat vorne einen Einsatz, ein schwarzes quadratisches Stück Stoff, kleiner als ein Blatt Schreibmaschinenpapier, der von zwei schwarzen Trägern gehalten wird. Der Einsatz ist lose. Wenn sie sich vorbeugt, um etwas zu sagen oder leere Gläser zu entfernen, bewegt sich etwas unter dem Einsatz und könnte sogar herausrutschen. Aber es ist dunkel, sehr dunkel, und außerdem hat sie sich noch nie über seinen Tisch gebeugt und wird es vermutlich auch nicht tun. Hinzu kommt, dass er von seinem Platz aus nicht gut sehen kann.
    Er steht von seinem Tisch neben der Tür auf, weil er keine Lust hat, durch den ganzen Raum zu brüllen, dass er gerne noch einen Bleeding Sunset hätte. Er ist auch nicht sicher, ob er überhaupt noch einen will. Ständig muss er an die leuchtende Plastikorange mit dem grünen Strohhalm denken, und je deutlicher er sie vor sich sieht und sich an seine Enttäuschung erinnert, desto ungerechter fühlt er sich behandelt. Er steht neben dem Tisch und holt einen Zwanziger aus der Tasche. Geld hat in der Other Way Lounge dieselbe Wirkung wie ein Steak auf einen Hund, denkt er. Die Rothaarige stakst auf ihren Stilettoabsätzen auf ihn zu. Unter dem Einsatz ihres Pullis wippt es, und unter dem engen Minirock pumpen die Beine. Aus der Nähe ist sie alt. Siebenundfünfzig, achtundfünfzig oder sogar sechzig.
    »Gehst du schon, Süßer?« Sie nimmt den Zwanziger vom Tisch, ohne Edgar Allan anzusehen.
    Auf der rechten Wange hat sie ein Muttermal, vermutlich mit dem Augenbrauenstift aufgemalt. Er hätte es viel besser gemacht. »Ich hätte gern noch einen«, sagt er.
    »Möchten wir das nicht alle, Schätzchen?« Ihr Lachen erinnert ihn an eine Katze, die Schmerzen hat. »Einen Moment, ich bringe ihn dir.«
    »Es ist zu spät«, erwidert er.
    »Bessie, mein Kind, wo bleibt mein Whisky?«, fragt ein ruhiger Mann am Nebentisch.
    Pogue hat ihn vorhin in einem großen neuen Cadillac vorfahren sehen. Er ist sehr alt, mindestens achtzig, einundachtzig oder zweiundachtzig, und trägt einen hellblauen Seersucker-Anzug und eine hellblaue Krawatte. Bessie hüpft wippend auf ihn zu, und Pogue ist plötzlich

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