Staub
gefunden wurden«, zischt Marino und macht einen Schritt auf sie zu. »Hast du den rothaarigen kleinen Schweinehund zu einem deiner Spielchen eingeladen? War es so, Suz?«
»Nein!« Tränen laufen ihr die Wangen hinunter. »Nein! Da hinten wohnt niemand! Nur die alte Frau, und die ist schon seit Jahren fort! Es kann sein, dass hin und wieder jemand im Haus ist, aber richtig wohnen tut niemand dort. Ich schwöre! Seine Fingerabdrücke? O Gott, mein kleines Kind. Mein kleines Kind …« Schluchzend schlingt sie die Arme um ihren Leib und weint so heftig, dass ihre Unterlippe die Zähne freigibt. Dann presst sie die zitternden Hände an die Wangen. »Was hat er mit meinem kleinen Kind gemacht?«
»Er hat sie umgebracht«, entgegnet Marino. »Erzähl uns von ihm, Suz.«
»O nein«, jammert sie. »O Gilly …«
»Setz dich, Suz.«
Schluchzend bleibt sie stehen und schlägt die Hände vors Gesicht.
»Setz dich!«, befiehlt Marino streng. Scarpetta kennt dieses Spiel. Sie lässt ihn gewähren, weil sie weiß, dass er es kann, auch wenn es ihr schwer fällt zuzusehen.
»Setz dich!« Er weist aufs Sofa. »Und sag einmal in deinem Leben die Wahrheit. Gilly zuliebe.«
Mrs. Paulsson sinkt auf das karierte Sofa, das zwischen den Fenstern steht. Ihre Hände bedecken immer noch ihr Gesicht, die Tränen laufen ihr den Hals hinunter und durchnässen die Vorderseite ihres Bademantels. Scarpetta stellt sich, Mrs. Paulsson gegenüber, vor den kalten Kamin.
»Erzähl mir von Edgar Allan Pogue«, beginnt Marino langsam und mit lauter Stimme. »Hörst du mich, Suz? Hallo? Suz? Er hat dein kleines Mädchen auf dem Gewissen. Aber vielleicht interessiert dich das ja nicht. Sie war doch so lästig. Du hast selbst gesagt, wie schlampig sie war. Du warst nur damit beschäftigt, hinter der verwöhnten Göre herzuräumen …«
»Hör auf!«, kreischt sie. Aus großen, geröteten Augen starrt sie ihn hasserfüllt an. »Hör auf damit, du verdammter … Du …« Schluchzend wischt sie sich mit einer zitternden Hand über die Nase. »Meine Gilly …«
Marino setzt sich in den Lehnsessel. Beide scheinen Scarpetta völlig vergessen zu haben, auch wenn das bei ihm ganz sicher nicht der Fall ist. Er hat diese Szene oft genug gespielt. »Willst du, dass wir ihn fassen, Suz?«, fragt er, plötzlich freundlicher und ruhiger. Er beugt sich vor und stützt seine massigen Unterarme auf die dicken Knie. »Was willst du? Verrat es mir.«
»Ja.« Sie nickt unter Tränen. »Ja.«
»Dann hilf uns.«
Weinend schüttelt sie den Kopf.
»Du willst uns also nicht helfen?« Er lehnt sich im Sessel zurück und blickt Scarpetta an, die immer noch vor dem Kamin steht. »Sie will uns nicht helfen, Doc. Sie will nicht, dass wir ihn kriegen.«
»Nein«, schluchzt Mrs. Paulsson. »Ich … ich weiß nicht. Ich habe ihn nur gesehen. Ich glaube, es war … Ich bin mal abends rausgegangen … rüber zum Zaun … Ich bin zum Zaun, um Sweetie zu holen, und da war ein Mann hinten im Garten.«
»Im Garten hinter diesem Haus?«, meint Marino. »Auf der anderen Seite des Zauns?«
»Er war hinter dem Zaun. Zwischen den Brettern sind Ritzen, und er hatte die Finger durchgestreckt, um Sweetie zu streicheln. Ich habe hallo gesagt. Mehr nicht … Oh, Mist.« Sie schnappt nach Luft. »Oh, Mist. Er war es. Er hat Sweetie gestreichelt.«
»Was hat er dir geantwortet?«, fragt Marino mit ruhiger Stimme. »Hat er überhaupt was gesagt?«
»Er sagte …« Ihre Stimme wird höher und erstirbt. »Er … er sagte: ›Ich mag Sweetie.‹«
»Woher kannte er den Namen deines Hundes?«
»›Ich mag Sweetie‹, sagte er.«
»Woher wusste er, dass dein Hund so heißt?«, wiederholt Marino.
Sie holt tief Luft, starrt auf den Boden, und ihr Schluchzen wird schwächer.
»Tja, möglicherweise hat er dein Hündchen ja auch mitgenommen«, spricht Marino weiter. »Schließlich mochte er es. Oder hast du Sweetie in letzter Zeit gesehen?«
»Also hat er Sweetie mitgenommen.« Sie verkrampft die Hände im Schoß, bis sich ihre Knöchel weiß verfärben. »Er hat alles mitgenommen.«
»Was hast du an dem Abend, als er Sweetie durch den Zaun gestreichelt hat, gedacht? Was hast du davon gehalten, dass da hinten ein fremder Mann war?«
»Er hatte eine leise Stimme, hat ganz langsam geredet und klang weder freundlich noch unfreundlich. Mehr weiß ich nicht über ihn.«
»Und sonst hast du nicht mit ihm gesprochen?«
Sie starrt zu Boden. Ihre Hände auf dem Schoß sind zu Fäusten geballt.
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