Staub
müssen. Heute, in Charleston, South Carolina, ist sie nichts weiter als eine hübsche weiße Frau mit einem leichten Südstaatenakzent, der ihrer sonst unauffälligen Aussprache eine reizende Note verleiht.
»Ich bin lizenzierte Pilotin gemäß Vorschrift Nummer 91«, antwortet sie. »Der Typ, für den ich fliege, hat einen Bell Textron 430.«
»So ein Glückspilz«, erwidert der Pilot beeindruckt. »Der muss ganz schön Kohle haben. Der Bell Textron 430 ist ein toller Vogel. Was halten Sie vom Sichtwinkel? Haben Sie lange gebraucht, um sich dran zu gewöhnen?«
»Ich finde ihn prima«, entgegnet sie und wünscht, er würde den Mund halten. Obwohl sie den ganzen Tag lang über Helikopter fachsimpeln könnte, möchte sie momentan lieber herausfinden, wie und wo sie Frank Paulssons Haus am besten verwanzen kann.
Die mollige Assistentin, die Lucy ins Wartezimmer geführt hat, kehrt zurück und fordert den Piloten auf, sie zu begleiten. Sie verkündet, Dr. Paulsson habe jetzt Zeit für ihn, und fragt, ob er sein Formular vollständig und korrekt ausgefüllt habe.
»Falls Sie mal bei Mercury Air vorbeikommen: Wir haben ein Büro im Hangar, das Sie schon vom Parkplatz aus sehen. Ich habe dort eine Harley Softail stehen«, meint er zu Lucy.
»Ein Mann nach meinem Geschmack«, sagt sie von ihrem Sessel aus. »Ich brauche ein neues Formular«, wendet sie sich dann an die Assistentin. »Ich habe mich verschrieben.«
Die Frau blickt sie argwöhnisch an. »Tja, lassen Sie mich sehen, was sich tun lässt. Aber werfen Sie das alte nicht weg, sonst bringen Sie die Seriennummern durcheinander.«
»Ja, Ma’am. Es liegt hier auf dem Tisch.« Zu dem Piloten meint sie: »Ich habe meine Harley Sportster gerade gegen eine V-Rod eingetauscht. Sie ist noch nicht mal eingefahren.«
»Du meine Güte! Ein Bell Textron 430 und eine V-Rod. Genau meine Kragenweite«, gibt er bewundernd zurück.
»Vielleicht machen wir mal zusammen eine Spazierfahrt. Viel Glück mit der Katze.«
Er lacht auf. Sie hört, wie er die Treppe hinaufgeht und dabei der verbiesterten molligen Assistentin erklärt, dass sich seine Frau von Anfang an geweigert habe, ihre Katze wegzugeben. Das Tier schlafe bei ihr im Bett, worauf er früher in den unpassendsten Momenten Hautausschläge bekommen habe. Lucy hat die untere Etage mindestens eine Minute lang für sich, zumindest so lange, wie die Assistentin braucht, um ein neues Formular zu holen und wieder ins Wartezimmer zu kommen. Sie zieht Baumwollhandschuhe an und wischt hastig jede Zeitschrift im Raum ab, die sie angefasst hat.
Die erste Wanze, die sie anbringt, hat die Größe einer Zigarettenkippe. Es ist ein drahtloser Mikrofon-Audiotransmitter, den sie selbst in einer wasserdichten, unauffälligen grasgrünen Plastikröhre verpackt hat. Eigentlich sollte eine Wanze so getarnt sein, dass man sie mit einem anderen Gegenstand verwechselt, aber manchmal ist es das beste, wenn man sie einfach gar nicht sieht. Lucy versteckt das grüne Röhrchen in dem bunten Keramiktopf der üppig grünen Seidenpflanze auf dem Couchtisch. Dann schleicht sie in den hinteren Teil des Hauses und versenkt eine weitere unsichtbare Wanze in einer anderen Seidenpflanze, die auf einem Tisch in der Wohnküche steht. Die Schritte der Assistentin sind auf der Treppe zu hören.
45
Benton sitzt im zweiten Stock seines Stadthauses in dem Zimmer, das er als Büro benutzt, am Schreibtisch vor dem Laptop und wartet darauf, dass Lucy die versteckte Videokamera aktiviert. Diese ist als Schreibstift getarnt und mit einer Schnittstelle verbunden, die wie ein Piepser aussieht. Anschließend muss sie noch den hochsensiblen Sender einschalten, der das Aussehen eines Drehbleistifts hat. Auf dem Schreibtisch rechts von seinem Laptop befindet sich eine tragbare Empfangsstation, die in einen Aktenkoffer eingebaut ist. Der Aktenkoffer ist offen, Kassettenrecorder und Empfänger stehen auf Standby.
In Charleston ist es achtundzwanzig Minuten nach zehn Uhr morgens, hier in Aspen zwei Stunden früher. Benton starrt auf den schwarzen Bildschirm seines Laptops und sitzt geduldig, die Kopfhörer auf dem Kopf, da. Seit fast einer Stunde wartet er nun schon. Lucy hat ihn gestern am späten Abend Ortszeit nach ihrer Landung angerufen und ihm mitgeteilt, sie habe noch einen Termin bekommen. Dr. Paulsson sei zwar absolut ausgebucht, doch sie habe der Dame am Telefon erklärt, es sei dringend. Sie müsse sich sofort flugärztlich untersuchen lassen, da ihre
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