Staub
Doch er empfindet die Erniedrigung ebenso stark wie Lucy.
»Er fasst dich an«, sendet Benton, damit es auch auf Band festgehalten wird. »Er hat gerade angefangen, dich zu betatschen.«
»Ja.« Lucy scheint Dr. Paulsson zu antworten, aber in Wirklichkeit meint sie Benton. Wieder bewegt sie die Hand bestätigend vor der Linse. »Ja, ich treibe viel Sport«, sagt sie.
46
Hundertdreißig zu achtzig«, verkündet Dr. Paulsson und berührt wieder ihre Brust, während er den Klettverschluss der Manschette aufreißt. »Ist Ihr Blutdruck immer so hoch?«
»Nein, ganz und gar nicht«, antwortet Lucy in gespieltem Erstaunen. »Ist er das wirklich? Ich meine, Sie müssen es ja wissen. Aber normalerweise habe ich immer hundertzehn zu siebzig. Meistens ist mein Blutdruck eher zu niedrig.«
»Sind Sie nervös?«
»Ich bin noch nie gern zum Arzt gegangen«, antwortet sie, und da sie auf dem Untersuchungstisch sitzt und er vor ihr aufragt, muss sie sich ein wenig zurücklehnen. Sie möchte, dass Benton Dr. Paulssons Gesicht sieht, während er mit ihr spricht und versucht, sie einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. »Kann sein, dass ich ein bisschen nervös bin.«
Er legt die Hände auf ihren Hals dicht unterhalb des Kiefers. Ihre Haut ist warm und trocken, als er die weichen Stellen unter ihren Ohren betastet. Da ihr Haar die Ohren bedeckt, kann er den Empfänger unmöglich bemerken. Er fordert sie auf zu schlucken, befühlt ihre Lymphknoten und lässt sich Zeit dabei. Während dieser Prozedur sitzt Lucy aufrecht da und versucht, sich einzureden, dass sie nervös ist. Sie weiß, dass er den kräftigen Puls in ihrem Hals spürt.
»Schlucken«, sagt er wieder, tastet nach ihrer Schilddrüse und überprüft, ob die Luftröhre auch in der Mitte sitzt. Ihr schießt durch den Kopf, dass sie bestens über ärztliche Untersuchungen im Bilde ist. Immer wenn sie als Kind zum Arzt musste, hat sie ihre Tante Kay mit Fragen gelöchert und war erst zufrieden, wenn sie die Gründe für jede Berührung und Bemerkung des Arztes kannte.
Erneut betastet er ihre Lymphknoten und rutscht näher an sie heran. Sie spürt seinen Atem leicht auf ihrem Kopf.
»Ich sehe nur den Arztkittel«, hört sie Bentons Stimme deutlich im linken Ohr.
Dagegen kann ich nichts tun, denkt sie.
»Haben Sie sich in letzter Zeit öfter müde oder unwohl gefühlt?«, fragt Dr. Paulsson auf seine kühle und einschüchternde Art.
»Nein. Na ja, ich meine, ich habe viel gearbeitet und bin eine Menge gereist. Kann sein, dass ich ein bisschen müde bin«, stammelt sie und tut so, als wäre sie so verängstigt, wie sie klingt, während er sich an ihre Knie drückt. Sie spürt seine Erektion erst am einen, dann am anderen Knie, doch leider kann die Kamera ihre Gefühle nicht aufzeichnen.
»Ich muss auf die Toilette«, sagt sie. »Tut mir Leid, ich beeile mich auch.«
Als er zurückweicht, kommt plötzlich wieder das Zimmer in Sicht. Es ist, als wäre von einem Erdloch der Deckel abgenommen worden, sodass sie endlich hinausklettern kann. Lucy rutscht vom Untersuchungstisch und eilt zur Tür, während er zum Computer geht und nach ihrem Formular, dem korrekt ausgefüllten, greift. »Am Waschbeckenrand steht ein Becher in einer Plastiktüte«, meint er, als sie den Raum verlassen will.
»Ja, Sir.«
»Lassen Sie ihn einfach auf der Toilette stehen, wenn Sie fertig sind.«
Allerdings benutzt Lucy die Toilette nicht, betätigt nur die Spülung und bittet Benton um Verständnis. Dann nimmt sie ohne weitere Erklärung den Empfänger aus dem Ohr und steckt ihn in die Tasche. Einen Becher mit Urin hinterlässt sie nicht, weil sie nicht die Absicht hat, Dr. Paulsson biologische Spuren zu liefern. Obwohl ihre DNS vermutlich in keiner Datenbank gespeichert ist, muss das noch lange nichts heißen. In den vergangenen Jahren hat Lucy die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um sicherzugehen, dass weder ihre genetischen noch ihre tatsächlichen Fingerabdrücke in irgendeiner amerikanischen oder ausländischen Datenbank vermerkt sind. Doch da sie immer vom Schlimmsten ausgeht, rückt sie diesem Arzt lieber nicht ihren Urin heraus. Er wird nämlich bald große Lust bekommen, Miss P. W. Winston ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Seit sie sein Haus betreten hat, hat sie sämtliche von ihr berührten Flächen abgewischt, damit niemand am Ende doch noch ihre Fingerabdrücke als die von Lucy Farinelli, früher Agentin beim FBI und bei der Behörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen,
Weitere Kostenlose Bücher