Staub
Traktorfahrer fast die Nase vom Gesicht getrennt hat.
»Ich würde einen Alkohol- und einen CO 2 -Test an ihm durchführen«, meint sie zu Dr. Jack Fielding, der auf der anderen Seite der Bahre aus Edelstahl steht. Die Leiche liegt zwischen ihnen.
»Ist Ihnen was in dieser Richtung aufgefallen?«, fragt er.
»Ich rieche keinen Alkohol, und kirschrosa ist er auch nicht. Nur, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich sage Ihnen was: Bei Fällen wie diesem wittere ich buchstäblich den Ärger, Jack.«
Der Tote trägt noch seine olivgrüne Arbeitshose, die mit rotem Tonstaub bedeckt und an den Oberschenkeln aufgerissen ist. Körperfett, Muskeln und zerschmetterte Knochen lugen aus der aufgeplatzten Haut. Der Traktor hat seinen Körper in der Mitte überrollt. Es könnte eine Minute oder vielleicht fünf Minuten nachdem Scarpetta um die Ecke gebogen ist, passiert sein, denn sie ist sicher, dass der Mann, den sie gesehen hat, Mr. Whitby war. Obwohl sie versucht, ihn sich nicht lebend vorzustellen, steht er ihr etwa alle zwei Minuten vor Augen, wie er vor dem riesigen Reifen des Traktors am Motor herumhantiert.
»Hey«, ruft Fielding einem jungen Mann mit rasiertem Schädel zu, vermutlich ein Soldat des Toten-Bergungskommandos aus Fort Lee. »Wie heißen Sie?«
»Bailey, Sir.«
Scarpetta erkennt einige andere junge Männer in OP-Kleidung, mit Schuhhüllen, Kopfbedeckung, Gesichtsmasken und Handschuhen, vermutlich Praktikanten von der Army, die hier den Umgang mit Leichen erlernen sollen. Sie fragt sich, ob sie wohl in den Irak geschickt werden. Als sie die olivgrünen Armeeuniformhosen betrachtet, stellt sie fest, dass Mr. Whitbys zerrissene Arbeitshose dieselbe Farbe hat.
»Tun Sie dem Beerdigungsinstitut einen Gefallen, Bailey, und binden Sie die Karotidarterie ab«, brummt Fielding. Als er noch für Scarpetta gearbeitet hat, war er nicht so unfreundlich und hat seine Mitmenschen nicht lautstark herumkommandiert oder Fehler bei ihnen gesucht.
Dem Soldaten ist es sichtlich peinlich. Sein muskulöser, tätowierter Arm erstarrt mitten in der Bewegung, die Finger sind um eine lange, gebogene Nadel geschlossen, in die ein Faden Stärke 7 eingefädelt ist. Er hilft einem Assistenten, den Y-Schnitt nach einer Autopsie zuzunähen, die vor der Mitarbeitersitzung durchgeführt wurde, und es ist der Assistent, nicht der Soldat, der eigentlich wissen sollte, dass man die Arterie abbinden muss. Scarpetta hat Mitleid mit dem Soldaten, und wenn Fielding noch ihr Mitarbeiter wäre, würde sie ihn sich vorknöpfen, damit er sich in ihrem Leichenschauhaus einen deutlich höflicheren Ton angewöhnt.
»Ja, Sir«, sagt der junge Soldat. »Das wollte ich gerade tun, Sir.«
»Wirklich?«, fragt Fielding, und jeder im Leichenschauhaus kann hören, wie er den jungen Soldaten herunterputzt. »Wissen Sie, warum man die Karotidarterie abbindet?«
»Nein, Sir.«
»Aus Höflichkeit, das ist der Grund«, fährt Fielding fort. »Man bindet einen Faden um wichtige Blutgefäße wie die Karotidarterie, damit die Einbalsamierer im Beerdigungsinstitut nicht danach suchen müssen. Das gebietet der gute Ton, Bailey.«
»Ja, Sir.«
»Meine Güte«, stöhnt Fielding. »Ich muss mir das jeden Tag antun, weil er Gott und die Welt hier hereinlässt. Und sehen Sie ihn selbst irgendwo?« Er macht sich noch ein paar Notizen auf seinem Klemmbrett. »Seit vier Monaten ist er jetzt schon bei uns, ohne auch nur eine einzige Autopsie durchgeführt zu haben. Oh, und falls Sie noch nicht dahintergekommen sein sollten: Er lässt andere Leute gern warten. Das ist seine Lieblingsbeschäftigung. Anscheinend hat Ihnen noch niemand erzählt, welche Leichen er im Keller hat. Verzeihen Sie den Ausdruck.« Er weist auf die Leiche zwischen ihnen auf der Bahre. »Wenn Sie mich angerufen hätten, hätte ich Ihnen gleich gesagt, dass Sie sich die Mühe sparen können, herzukommen.«
»Ich hätte Sie wirklich anrufen sollen«, erwidert sie, während sie zusieht, wie fünf Leute mühsam eine monströs fette Frau von einer Bahre auf einen Edelstahltisch wuchten. Blutige Flüssigkeit tropft ihr aus Mund und Nase. »Das ist ja ein gewaltiger Pannikulus.« Scarpetta meint damit die Fettschürze, die bei Menschen, die so übergewichtig sind wie diese Frau, über den Bauch hängt. Doch in Wirklichkeit will sie das Thema wechseln, weil sie hier an diesem Ort, in seinem Leichenschauhaus und umgeben von seinen Mitarbeitern, ganz bestimmt keine Gespräche über Dr. Marcus führen
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