Staub
unbedeckte Haut nach halb abgeheilten Kratzern, Abschürfungen oder anderen Verletzungen ab. Doch inzwischen sind zwei Wochen vergangen. Sie notiert sich in ihren Block, dass sie sich erkundigen muss, ob Mrs. Paulsson irgendwelche Verletzungen aufwies, als die Polizei sie vernommen hat.
»Ich wünschte, ich hätte es getan. Gilly hätte es in Miami bestimmt gefallen. Die vielen Palmen und die rosa Flamingos«, sagt Mrs. Paulsson.
Am Tisch füllt sie die Tassen nach, und der Kaffee schwappt in der Glaskanne, als sie sie ein wenig zu heftig zurück in die Kaffeemaschine schiebt. »Diesen Sommer sollte sie mit ihrem Vater verreisen.« Erschöpft nimmt sie auf dem ungepolsterten Stuhl aus Eichenholz Platz. »Oder wenigstens eine Weile bei ihm in Charleston verbringen. Sie war auch noch nie in Charleston.« Sie stützt die Ellenbogen auf den Tisch. »Gilly war noch nie am Strand und kennt das Meer nur von Fotos oder aus dem Fernsehen, auch wenn ich sie bloß selten fernsehen ließ. Kann man mir das zum Vorwurf machen?«
»Ihr Vater lebt in Charleston?«, fragt Scarpetta, obwohl sie sehr gut verstanden hat.
»Im letzten Sommer ist er wieder dorthin gezogen. Er ist Arzt und wohnt in einem eleganten Haus direkt am Meer. Es wird sogar in Reiseführern erwähnt, und die Leute bezahlen viel Eintritt, nur um sich seinen Garten anzuschauen. Natürlich kümmert er sich nicht selbst um den Garten, das ist ihm viel zu mühsam. Und wenn ihm etwas zu mühsam ist, stellt er einfach jemanden ein, der ihm die Arbeit abnimmt. Die Beerdigung zum Beispiel. Seine Anwälte tun alles, um mir Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ich möchte, dass sie in Richmond beigesetzt wird, aber er besteht auf Charleston.«
»Was für ein Arzt ist er denn?«
»Allgemeinmediziner und außerdem Flugarzt. Sie wissen ja, dass es in Charleston einen großen Luftwaffenstützpunkt gibt. Also geht es ihm nicht schlecht. Frank, meine ich.« Sie redet und redet, fast ohne zwischen den Sätzen Luft zu holen, und wiegt sich dabei auf ihrem Stuhl hin und her.
»Mrs. Paulsson, erzählen Sie mir vom Donnerstag, dem 4. Dezember. Fangen Sie mit dem Aufstehen am Morgen an.« Scarpetta weiß, wie das Gespräch enden wird, wenn sie nicht einschreitet: Mrs. Paulsson wird vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, wirklich wichtigen Fragen und Details ausweichen und sich stattdessen weitschweifig über ihren geschiedenen Ehemann beklagen. »Um wie viel Uhr sind Sie an diesem Morgen aufgestanden?«
»Ich stehe immer um sechs auf. Ich brauche keinen Wecker, weil ich eine innere Uhr habe.« Sie berührt ihren Kopf. »Wissen Sie, ich wurde um Punkt sechs Uhr geboren, und deshalb wache ich auch immer um sechs auf …«
»Und dann?« Scarpetta fällt anderen Leuten zwar nur ungern ins Wort, aber wenn sie es nicht tut, wird diese Frau den ganzen Tag lang weiterplappern und auf verschlungenen Pfaden immer weiter vom Thema abkommen. »Dann sind Sie aufgestanden?«
»Aber natürlich. So wie immer. Ich bin sofort in die Küche gegangen und habe Kaffee aufgesetzt. Dann bin ich in mein Schlafzimmer zurückgekehrt und habe eine Weile in der Bibel gelesen. Wenn Gilly Schule hat, schicke ich sie um Viertel nach sieben los, mit geschmierten Pausenbroten und so weiter. Sie fährt bei einer ihrer Freundinnen mit. Ich habe großes Glück, dass sie eine Freundin hat, deren Mutter es nicht stört, sie jeden Morgen mitzunehmen.«
»Donnerstag, der 4. Dezember, vor zwei Wochen«, bringt Scarpetta sie zum Thema zurück. »Sie sind um sechs aufgestanden, haben Kaffee aufgesetzt und sind dann in Ihr Zimmer zurückgekehrt, um die Bibel zu lesen? Und was dann?«, fragt sie, als Mrs. Paulsson bestätigend nickt. »Sie saßen also im Bett und lasen die Bibel. Wie lange?«
»Eine gute halbe Stunde.«
»Haben Sie nach Gilly gesehen?«
»Ich habe zuerst für sie gebetet und habe sie währenddessen einfach schlafen lassen. Dann, so gegen Viertel nach sieben, bin ich in ihr Zimmer. Da lag sie im Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und schlief wie ein Murmeltier.« Sie fängt an zu weinen. »›Gilly‹, sagte ich. ›Meine kleine Gilly. Wach auf, dann bekommst du heiße Weizencreme.‹ Sie schlug die hübschen blauen Augen auf und antwortete: ›Mama, ich habe gestern Nacht so viel gehustet, mir tut die Brust weh.‹ Da habe ich bemerkt, dass der Hustensaft alle war.« Plötzlich hält sie inne und starrt mit weit aufgerissenen, tränennassen Augen ins Leere. »Das Komische war, dass der Hund
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