Staub
gebellt und gebellt hat. Ich weiß nicht, warum mir das jetzt erst einfällt.«
»Was für ein Hund? Haben Sie einen Hund?« Scarpetta macht sich zwar Notizen, aber ganz unauffällig. Sie weiß, wie man hinschaut, zuhört und ganz beiläufig ein paar Wörter in einer Handschrift hinkritzelt, die kaum jemand entziffern kann.
»Das ist es ja«, erwidert Mrs. Paulsson. Ihre Stimme kippt um, und ihre Lippen zittern, als sie noch heftiger zu weinen beginnt. »Sweetie ist weggelaufen!« Sie schluchzt lautstark und wiegt sich auf ihrem Stuhl hin und her. »Die kleine Sweetie war draußen im Garten, als ich mit Gilly sprach, und später war sie fort. Die Polizisten oder die Sanitäter haben das Gartentor nicht zugemacht. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre. Als ob ich nicht schon so viel ertragen müsste.«
Langsam schließt Scarpetta ihr in Leder gebundenes Notizbuch und legt es mit dem Stift auf den Tisch. »Was für ein Hund ist Sweetie denn?«
»Eigentlich gehörte sie Frank, aber ihm machte sie zu viel Arbeit. Als er gegangen ist, wissen Sie, vor knapp sechs Monaten an meinem Geburtstag – wie kann man einem anderen Menschen so etwas antun? –, hat er gesagt: ›Du behältst Sweetie. Wenn nicht, kommt sie ins Tierheim.‹«
»Was für ein Hund ist Sweetie?«
»Ihn hat der Hund nie interessiert, und wissen Sie, warum? Weil er sich für gar nichts interessiert außer für sich selbst, das ist der Grund. Aber Gilly liebt den Hund, o ja, sie betet ihn richtig an. Wenn sie wüsste …« Tränen laufen ihr die Wangen hinunter, und sie leckt sich mit einer kleinen rosigen Zunge über die Lippen. »Wenn sie es wüsste, es würde ihr das kleine Herz brechen.«
»Mrs. Paulsson, was für ein Hund ist Sweetie? Haben Sie sie als vermisst gemeldet?«
»Gemeldet?« Sie blinzelt, ihr Blick wird für einen Moment klar, und sie lacht fast, als sie hervorstößt: »Wo denn? Bei den Polizisten, die das Tor offen gelassen haben? Tja, ich weiß nicht, ob man das eine Meldung nennen kann, aber ich habe es einem von ihnen erzählt. Ich weiß nicht, wem, einem Polizisten jedenfalls. ›Mein Hund ist weg‹, habe ich gesagt.«
»Wann haben Sie Sweetie zuletzt gesehen? Mrs. Paulsson, ich weiß, wie viel Sie durchgemacht haben, glauben Sie mir. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie bitte meine Fragen beantworten könnten.«
»Was geht Sie überhaupt mein Hund an? Ein vermisster Hund ist doch nicht Ihre Sache, außer wenn er tot ist, und selbst dann glaube ich nicht, dass Ärzte wie Sie sich für tote Hunde interessieren.«
»Ich muss sämtliche Begleitumstände in Erwägung ziehen und möchte deshalb alles hören, was Sie wissen.«
In diesem Moment erscheint Marino in der Küchentür. Scarpetta hat seine schweren Schritte gar nicht wahrgenommen. Es überrascht sie immer wieder, wie er es schafft, seine massige Gestalt in den schweren Stiefeln zu bewegen, ohne dass sie ihn hört. »Marino«, sagt sie und sieht ihn an. »Weißt du etwas über den Hund? Ihr Hund ist verschwunden. Sweetie. Sie ist ein …Hilfesuchend blickt sie Mrs. Paulsson an.
»Ein Basset, noch ein Welpe«, schluchzt sie.
»Doc, ich brauche dich kurz«, sagt Marino.
16
Lucy mustert die teuren Geräte und die Fenster in diesem Fitnessraum im zweiten Stock. Ihre Nachbarin Kate hat alles, was sie braucht, um in Form zu bleiben, und genießt dabei eine wunderbare Aussicht auf den Intracoastal Waterway, den Stützpunkt der Küstenwache, den Leuchtturm, den Ozean dahinter und auf einen Großteil von Lucys Grundstück.
Das Südfenster des Fitnessraums zeigt auf die Rückseite von Lucys Haus, und sie ist ein wenig erschrocken, als ihr klar wird, dass Kate mehr oder weniger alles beobachten kann, was sich in Küche, Ess- und Wohnzimmer sowie auf der Terrasse, im Pool und am Wellenbrecher tut. Lucy betrachtet den schmalen Weg, der entlang der niedrigen Mauer zwischen den beiden Häusern verläuft, und sie vermutet, dass er – die Bestie – diesen mit Rindenmulch bestreuten Weg entlanggehuscht und durch die Tür zum Pool eingedrungen ist. Die Tür, die Henri nicht abgeschlossen hat. Die einzige Alternative wäre, dass er ein Boot besitzt. Lucy glaubt das zwar nicht, kann diese Möglichkeit jedoch nicht ausschließen. Die Leiter am Wellenbrecher ist hochgeklappt und abgeschlossen, doch das ist für jemanden, der fest dazu entschlossen ist, dort anzulegen und in ihr Haus einzudringen, gewiss kein Hindernis. Eine abgeschlossene Leiter mag den Durchschnittsbürger
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