Stauffenbergs Gefaehrten
Verhören wollen die Vernehmer erfahren, was die beiden über das Attentat und die Mitstreiter wissen. Ulrichs frühere Verschwiegenheit schützt sie jetzt. Als den Vernehmern klar wird, dass beide tatsächlich nichts wissen, werden Ingrid und ihr Vater in Ruhe gelassen. Einmal wird ihr das Angebot gemacht, sich posthum von ihrem Mann scheiden zu lassen, was sich strafmildernd auswirken soll. »Das kam für mich natürlich nicht in Frage«, sagt sie noch Jahrzehnte später. Nach vier Wochen wird der Vater entlassen; Ingrid bleibt noch bis Oktober 1944 in Haft. Als einer der Beamten ihr die Briefe ihres Mannes zurückgibt, die bei der Verhaftung beschlagnahmt worden waren, fragt er: »Wie kann jemand, der solche Briefe schreibt, solche schlimmen Dinge tun?« Ingrid von Oertzen antwortet ihm nicht. Zu Hause werden die Rückkehrer misstrauisch beäugt, viele Nachbarn meiden den Kontakt. Doch die Tage in Bellin sind ohnehin gezählt. Anfang Februar 1945 verlassen Ingrid und ihr Vater das Gut aus Furcht vor der nahenden Front.
Die Flucht endet bei Bekannten in Holstein. Und hier beginnt das neue Leben der Ingrid von Oertzen. Sie arbeitet in einem Kreiskrankenhaus und verliebt sich in den Chefarzt Dr. Martin Simonsen. Sie heiraten 1947 und bekommen einen Sohn. Das Schicksal ihres ersten Mannes ist lange kein Thema in der Familie. Ingrid Simonsen will nicht, dass ihr erstes Leben zu viel Gewicht bekommt, und vor allem will sie ihren zweiten Mann nicht kränken. Doch Anfang der neunziger Jahre lässt sich das Thema nicht mehr verdrängen. Ein Zeitungsbericht macht auf das Schicksal Oertzens aufmerksam, seine Verwandten wollen ihn öffentlich ehren. Am 5. September 1992 lassen die Oertzens eine Gedenktafel in Rattey enthüllen. Unter den fast tausend Gästen und Besuchern sind auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der als Privatmann an der Veranstaltung teilnimmt, sowie sein Freund Axel von dem Bussche, der ebenfalls ein Attentat auf Hitler vorbereitet hatte. Die Tafel, die Ulrich von Oertzens Name, seine Lebensdaten, das Familienwappen und der bescheidene Spruch »Im Aufstand gegen Hitler gab er sein Leben« zieren, hat Ingrid Simonsens Sohn Torsten entworfen.
Als Nachgeborener hat er sich lange gegen die Familiengeschichte gesträubt. Die Art, wie seine Mutter, entgegen ihrer Absicht, doch über »Ulli« oder ihr Zuhause in der Neumark sprach, gefiel ihm nicht. Sein GroÃvater, der 1983 stirbt, habe dagegen in seiner Gegenwart Oertzen nie erwähnt. Doch seiner Mutter zuliebe übernimmt er den Entwurf der Gedenktafel. Durch die Arbeit hat Oertzen für Torsten Simonsen schlieÃlich eine besondere Bedeutung bekommen: »Sie verhalf mir zu einem völlig neuen Zugang zu seiner Person und zum 20. Juli.« Seither fühle er sich ihm und dem Ereignis enger verbunden, ja »zugehörig«. Nach seiner Einschätzung war Hans-Ulrich von Oertzen ein mutiger, kluger und klar kalkulierender Mann, keinesfalls naiv. Für den kriegserprobten Offizier habe möglicherweise der Einsatz des eigenen Lebens für die Sache des 20. Juli weniger bedeutet, »als es unserer friedensverwöhnten Nachkriegsgeneration erscheinen mag«. Deshalb liege vor allem im Erkennen und Bekämpfen eines verbrecherischen Regimes, gegen den Strom und den Gehorsam jener Zeit, das eigentlich Vorbildliche, das für alle nachfolgenden Generationen MaÃstab zur Orientierung sein kann, so Simonsen. Besonders berühre ihn an Oertzens Handeln, dass er »ein gerade gefundenes persönliches Glück« höheren Werten untergeordnet habe.
Darin schwingt natürlich die Frage mit, inwieweit die Hochzeit im März 1944 mit genügender Rücksicht auf die Mutter geschehen ist und ob ein Warten nicht »vernünftiger« gewesen wäre. Ingrid Simonsen stellt sich diese Frage auch heute nicht. Sie sei vor allem traurig wegen der kurzen Zeit, die beiden nur gegeben war. Aber sie sei dankbar dafür, ihrem ersten Mann begegnet zu sein. »Es waren wichtige Jahre in meinem Leben, und wie ich ihn gekannt habe, hätte er nicht so gehandelt, wenn es nicht notwendig gewesen wäre.«
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Lars-Broder Keil
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Kurt Freiherr von Plettenberg (1891â1945)
»Ich fürchte den Tod nicht,
denn ich habe einen guten Richter«
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I.
Unverhoffte Gelegenheiten bringen einen mitunter erst auf eine Idee. Da steht also Kurt Freiherr von
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