Staunen über den Erlöser
Augen Ihrer Sechsjährigen küssen.
In einem Boot auf einem See, wo wir an die schönen Stunden in unserem Leben zurückdenken.
In Gesellschaft einer zerlesenen, eselsohrigen, vielleicht gar von Tränen verfleckten Bibel.
In den Armen der Ehefrau oder des Ehemannes.
Im Kreis der Familie neben dem schön geschmückten Christbaum.
Eine Stunde der Zufriedenheit. Eine Stunde, wo wir nicht an unseren Terminkalender denken. Eine Stunde, in der das, was wir haben, größer ist als das, was wir wollen. Eine Stunde, in der wir erkennen, dass ein ganzes Leben Schuften und Jagen uns nicht das geben kann, was das Kreuz uns an einem einzigen Tag gab: ein reines Gewissen und einen neuen Anfang.
Doch leider sind in unserem Rattenkäfig der Termine, der Konkurrenzkämpfe und des Schielens auf die anderen solche Stunden ungefähr so häufig wie ein einbeiniger Affe. In unserer Welt ist die Zufriedenheit ein exotischer Hausierer, der durch die Straßen wandert, aber selten eine offene Tür findet. Dieser alte Verkäufer geht langsam von Haus zu Haus, klopft und klingelt an und bietet seine Waren feil: eine Stunde Ruhe, ein zufriedenes Lächeln, einen Seufzer der Erleichterung. Aber nur wenige kaufen ihm etwas ab. Wir sind zu beschäftigt, um zufrieden zu sein. (Was total verrückt ist, denn wir reiben uns ja deswegen heute auf, weil wir uns einbilden, uns damit ein Stückchen Zufriedenheit für morgen erkaufen zu können.)
»Nein, danke, ich hab zu tun«, sagen wir. »Ich muss meine Punkte sammeln, ich muss meine Ziele erreichen, ich muss mein Bankkonto füllen, ich muss mir die nächste Beförderung verdienen. Wenn ich zufrieden bin, denken die Leute womöglich, dass ich keinen Ehrgeiz mehr habe.«
Und so geht der Hausierer namens Zufriedenheit weiter. Als ich ihn einmal fragte, warum so wenige Menschen ihm öffnen, machte mich seine Antwort betroffen. »Wissen Sie, ich bin ziemlich teuer. Ich verlange von den Leuten, dass sie ihren Terminkalender, ihren Frust und ihre Sorgen hergeben. Ich verlange, dass sie ihre Vierzehn-Stunden-Tage und schlaflosen Nächte wegwerfen. Man sollte meinen, dass ich mehr Kunden habe.« Er kratzte sich am Kopf und fuhr nachdenklich fort: »Aber die Leute scheinen richtig stolz zu sein auf ihre Migräne und Magengeschwüre.«
Darf ich eine persönliche Bemerkung machen? Ich möchte Ihnen ein Zeugnis geben, ein taufrisches: Heute Morgen habe ich diesen bärtigen Freund in mein Wohnzimmer eingelassen.
Es war nicht einfach.
Mein Tagespensum war unerledigt. Die Last der Aufgaben war so groß wie immer. Anrufe. Briefe. Rechnungen.
Aber als ich gerade dabei war, in das vertraute Hamsterrad zu steigen, passierte etwas, das mich innehalten ließ. Ich hatte gerade die Ärmel hochgekrempelt, gerade den Motor angelassen, gerade den Kessel auf Druck gebracht, da brauchte meine kleine Tochter Jenna jemanden, der sie auf den Arm nahm. Sie hatte Bauchweh und Mama war gerade in der Badewanne, also musste Papa sie hochnehmen.
Jenna ist drei Wochen alt. Erst versuchte ich, sie mit dem einen Arm zu halten und mit dem anderen zu arbeiten. Sie lächeln; ach so, Sie haben das auch schon versucht? Ich merkte, dass es nicht ging. Und dann merkte ich, dass ich es ja auch gar nicht wollte.
Ich setzte mich und drückte Jennas kleinen verspannten Bauch an meine Brust. Sie begann sich zu entspannen. Ein tiefer Seufzer kam aus ihrem Mund. Ihr Wimmern wurde zu einem Schnurren. Sie rutschte meine Brust hinunter, bis ihr winziges Ohr direkt über meinem Herzen lag, und dann wurden ihre Arme schlaff und sie schlief ein.
Das war der Augenblick, in dem der Hausierer an meine Tür klopfte.
Ade, Timing. Bis später, Arbeit. Kommt morgen wieder, ihr Termine … Guten Tag, Zufriedenheit, hereinspaziert!
Und so sitzen wir hier, die Zufriedenheit, meine Tochter und ich. Kugelschreiber in der Hand, Block auf Jennas Rücken. Sie wird sich nie an diesen Augenblick erinnern, und ich werde ihn nie vergessen. Der köstliche Duft eines bewusst gelebten Augenblicks erfüllt das Zimmer. Der pikante Geschmack einer ergriffenen Gelegenheit streichelt über meine Zunge. Das Sonnenlicht einer gelernten Lektion durchflutet mein Gehirn. Endlich ein Augenblick, den ich nicht verpasst habe.
Die Arbeit? Wird schon noch erledigt werden. Die Anrufe? Werde ich machen. Die Briefe? Sie werden geschrieben werden. Und zwar mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich tue das nicht oft genug, aber immer öfter. Ich überlege mir gerade, ob ich dem alten
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