Staustufe (German Edition)
Tode gekommen war oder dass es zumindest seinen Mörder dort getroffen hatte. Da wusste man nie, was einen erwartete.
«So, Frau Aksoy, ich bin jetzt weg. Meine Handynummer haben Sie ja.»
«Das könnte sie sein», sagte Aksoy statt einer Verabschiedung, stur auf den Bildschirm blickend. Sie klickte sich gerade an Gerds Rechner durch Vermisstenfälle. Winter packte die Neugier, er ging die paar Schritte zurück, stellte sich neben sie und schaute mit auf den Schirm. Als Erstes fiel ihm der Schriftzug Marl, Nordrhein-Westfalen ins Auge.
Sofort stieg Ärger in ihm auf.
«Nordrhein-Westfalen? Ich bitte Sie, Frau Aksoy, das ist doch etwas sehr weit weg. Wir können doch nicht alle tausend oder zweitausend in Deutschland vermissten Jugendlichen überprüfen. An Ihrer Stelle hätte ich erst mal die nähere Umgebung –»
«Keine Sorge, das hab ich schon gemacht. Ganz Hessen und auch die angrenzenden Ballungsräume in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Ich habe eine Merkliste von zwanzig, dreißig Fällen, wo zumindest Alter, Geschlecht und Körpergröße ungefähr hinkommen. Aber bei keinem hat es bei mir geklingelt. Hier klingelt’s.»
«Aha. Und warum klingelt es gerade hier bei Ihnen, wenn ich fragen darf?»
Winter wünschte sich Gerd zurück, seine gewissenhafte, bodenständige Art zu arbeiten. Irgendwelchen Phantasieinstinkten wie «klingeln» saß der nicht auf. Und er musste jetzt wirklich weg und hatte keine Zeit, mit Aksoy über weibliche Intuition zu diskutieren.
Sie ignorierte seinen sarkastischen Ton. «Jessica Gehrig», trug sie den Marler Fall vor, «dauervermisstes Mädchen, wäre vor zwei Wochen achtzehn geworden. Wurde vermisst gemeldet, als sie fünfzehn war. Laut dem Eintrag hier war sie aber schon damals zwei Jahre verschwunden. Nur hatten die Eltern es zunächst nicht angezeigt. Stellen Sie sich das mal vor. Und noch etwas Merkwürdiges: Auf dem aktuellsten Foto, das die Eltern damals hatten, ist sie ganze vier Jahre alt. Wenn Sie mich fragen, spricht das alles für genau die Sorte Eltern, die wir suchen. Und sehen Sie sich mal das Foto an.»
Winter seufzte. Aus seiner stehenden Position sah er einfach nur ein etwas verwackeltes Bild eines stinknormalen Kindes.
«Frau Aksoy, ich muss jetzt fort. Versuchen Sie derweil, über alle altersmäßig passenden Vermissten noch nähere Informationen hinsichtlich Blutgruppe et cetera herauszubekommen.»
Sein Fax begann zu rattern. Es spuckte den Wisch vom Kriminaldauerdienst aus, mit dem die Aksoy für das K 11 in Dienst gestellt wurde.
«So, jetzt sind Sie offiziell und versichert», erklärte Winter nach Inspektion des Faxes und drehte sich endgültig zum Gehen.
«Dann kann ich ja mitkommen», sagte die Aksoy und stand auf.
Sabine Stolze drückte mit zitternden Fingern eine winzige weiße Tablette aus der Folie. «Sabine!», erklang es herrisch aus der Ferne. Die Tablette fiel ihr vor Schreck aus den Fingern, ditschte in die staubige, enge Ritze zwischen Spüle und Wand, wo man schlecht hinkam. Und sie hatte nur noch drei. «Ja, Schatz», rief sie zurück und stöckelte pflichtergeben in den Flur. Ihr Mann stand lang und breithüftig in der Tür des größten Raumes der Wohnung, den er als sein Büro bezeichnete («Dipl.-Ing. B. Stolze, Consulting») und in dem er fast seine gesamte Zeit verbrachte. «Komm mal rein», sagte er, wie ein strenger Vater, der seinem Kind gleich geduldig erklären wird, was es jetzt wieder falsch gemacht hat.
Sabine Stolze folgte ihrem Mann durch die Tür. Im Vergleich zur dunklen Küche war das Büro fast gleißend hell. Über dem Main stand zwischen dünnen, schnell ziehenden Wolken eine blasse, winterliche Sonne. Ihr Mann bückte sich zum Boden. «Sieh mal hier», sagte er, als er sich wieder aufrichtete, fast zwei Köpfe größer als sie. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er ihr eine Staubfluse vor die Nase. «Du wirst hier noch mal putzen müssen», ergänzte er, «solltest du den Hinweis nicht verstanden haben. Und zwar jetzt gleich, und bitte mit viel Wasser. Ich muss doch davon ausgehen, als du gestern geputzt hast, wolltest du’s dir leichtmachen und hast nur den Staubsauger genommen.»
«Das stimmt nicht. Ich hatte feucht gewischt, wie immer», sagte sie hilflos.
«Dann hast du es offensichtlich sehr schlampig getan. Also. Ich warte solange im Wohnzimmer.»
Sabine Stolze trippelte in die Küche. Absichtlich mit Krach holte sie den Eimer aus dem Schrank, stellte ihn in die Spüle und stellte
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