Steam & Magic 01 - Feuerspiel
abwinkte. »Sie sind nicht gebrochen, nur geschwollen. Aber ich will ehrlich zu Ihnen sein. Das nächste Mal, wenn dieser Mann ein Kind schlägt, werde ich auch handgreiflich. Und ich nehme etwas Schwereres als einen Spazierstock.«
»Ich verstehe, Miss Bristol. Ich habe Mr. Berry bereits gesagt, dass so etwas nicht wieder vorkommen darf. Er stimmt zwar nicht mit Ihren Erziehungsmethoden überein, hat sich aber bereiterklärt, sich meinen Wünschen diesbezüglich zu fügen.« Merrick unterdrückte ein Lächeln. Hinter der mausgrauen Erscheinung der Gouvernante steckte eine temperamentvolle Frau – und sofort wünschte er, es wäre ihm nicht aufgefallen, genauso wenig wie ihr betörender Duft oder die ansehnlichen Kurven, die sie unter ihren hässlichen Kleidern zu verstecken suchte. Er war immer noch überzeugt, dass sie etwas Geheimnisvolles an sich hatte. Obwohl sie sich keiner besonderen Fähigkeiten bewusst zu sein schien, hätte Merrick immer noch geschworen, dass auch sie eine Gabe besaß. Verheimlichte sie etwas oder wusste sie es wirklich nicht?
»Danke, Sir Merrick. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich hole Wink zum Abendessen.« Und ohne auf seine Zustimmung zu warten, eilte sie davon.
Merrick rieb sich abermals die Schläfen und ging zu einem Bücherregal. Auf Druck eines versteckten Knopfes fuhr ein Teil der Vertäfelung zurück und legte ein mit Filz ausgelegtes Fach frei. Merrick griff nach einer Karaffe, warf zwei Eiswürfel aus dem kurbelbetriebenen Kühleimer in ein niedriges Glas und schenkte sich einen Drink ein. War es wirklich erst zwei Wochen her, dass dieses Haus eine ruhige, gut geführte Zufluchtsstätte gewesen war?
Caroline wäre weitaus lieber im ersten Stock geblieben und hätte das Abendessen im Unterrichtsraum überwacht, als jetzt Mr. Berry gegenüberzusitzen. Nachdem sie nur zu sechst waren, hatte Dorothy eins der kleineren familiären Esszimmer gewählt. Zu ihrem Unbehagen hatte man Caroline rechts neben Sir Merrick gesetzt. Anstatt die Geschlechter durchzumischen, saß jeder Schüler neben seinem Lehrer, so dass Dorothy am Fuße des Tisches von Tommy und Wink flankiert war.
»Und, haben Sie von weiteren Vampiren gehört, die zusammenarbeiten?« Wink hatte ihren Vormund seit Tagen nicht gesehen, daher war die Frage ganz natürlich, doch Caroline zuckte zusammen, als sie Berrys empörtes Gesicht bemerkte.
»In der Öffentlichkeit wird nicht über diese Dinge geredet.« Er bedachte Wink mit einem vernichtenden Blick, bevor er sich an Sir Merrick wandte. »Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass es unschicklich wäre.«
»Ein Essen im engen Kreis der Familie kann man wohl kaum als öffentlich bezeichnen.« Dorothy blickte streng von oben auf den Hauslehrer herab, so dass Caroline am liebsten applaudiert hätte. »Und die Existenz der Untoten ist auch kein Staatsgeheimnis. Winifreds Frage ist durchaus berechtigt, Merrick. Auch ich würde die Antwort gerne hören.«
Sir Merrick seufzte. »Ich habe mich erkundigt. Ein paar andere … Bekannte berichten von ähnlichen Sichtungen. Es ist äußerst alarmierend.«
Er machte ein so besorgtes Gesicht, dass Caroline beinahe die Hand nach ihm ausgestreckt hätte, um ihn zu beruhigen. Stattdessen unterdrückte sie die Geste und hob ihr Weinglas an die Lippen. Als sein finsterer Blick auf sie fiel, zitterte ihre Hand und sie hätte ihren Burgunder beinahe auf die blütenweiße Tischdecke verschüttet.
Sie räusperte sich und betete, dass sie nicht errötete. »Wenn es das Wetter morgen erlaubt, würde ich gerne in den Zoologischen Garten im Regent’s Park gehen. Sir Merrick, Sie sagten, dass uns für Ausflüge eine Kutsche zur Verfügung stünde?«
»Selbstverständlich.« Er nickte knapp und blickte dann auf seinen gebratenen Fasan. »Das klingt nach einer absolut vernünftigen Lehrexkursion. Vielleicht möchten Sie und Tom die Kinder begleiten, Edwin?«
»Ich denke nicht.« Die Nase des Hauslehrers kräuselte sich und zuckte, so dass Caroline einmal mehr an einen Dachs erinnert wurde. »Wenn Thomas in zwei oder drei Jahren für eine Universität bereit sein soll, muss er sich seiner klassischen Bildung widmen.«
Tommys Gesicht, das sich bei der Aussicht aufgehellt hatte, verdüsterte sich wieder. »Ja, Mr. Berry.«
Am liebsten hätte Caroline mit ihrem Messer nach ihm geworfen und ihre Finger zuckten, aber sie sagte nur: »Zu schade. Vielleicht ein andermal.«
»Dann erzählen Sie uns doch, Miss Bristol, wo wurden Sie
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