Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
Männer hinwegflogen, hatte man eine lockere Formation eingenommen. An der Spitze des Regiments hielt der Pfarrer, ein kleiner, blässlicher Mann mit einer großen Nase und langem strähnigem Haar, den Feldgottesdienst ab. Die Männer hatten Platz gemacht, sodass inmitten der Reihen eine freie Fläche in Form einer Kapelle entstanden war. Die erste Reihe hatte umgeschwenkt, während die beiden letzten Reihen das kleine Kirchenschiff und den Altarraum bildeten.
Der Feldgeistliche hatte das mit Goldfäden durchwirkte Altartuch über sechs Trommeln gelegt, die man eng zusammengeschoben hatte. Einer der Trommlerburschen hielt feierlich das lange, goldene Kreuz. Auf zwei weiteren Trommeln standen Kerzenständer, deren Kerzen noch nicht entzündet waren. Der Pfarrer begann mit seiner Predigt und sprach in dem typischen, einschläfernden Singsang der in Oxford ausgebildeten Geistlichen. Allerdings wohnte seiner Stimme eine unfreiwillige Komik inne, da er leicht lispelte.
»Wir sind nichts als Staub, und zu Staub werden wir gewiss wieder werden.«
Weiter hinten hüstelte Slaughter und gab ein leises Murren von sich. »Großer Gott, muss der uns daran erinnern? Wir finden schon früh genug unser Ende.«
»Jacob!«, ermahnte Steel ihn.
Hansam zuckte mit den Achseln und schaute Steel an. »Ich hab auch nicht viel dafür übrig, du etwa? Aber ich nehme an, dass die Männer Trost darin finden.«
»Nein, ich kann dem auch nicht viel abgewinnen, Henry. Aber jedem das Seine.«
Einige der anderen Offiziere knieten inzwischen vor den eigenen Reihen vor dem behelfsmäßigen Altar. Steel konnte McInnery erkennen, den eingefleischten Spieler – der gern das Geld anderer Leute verspielte –, und neben ihm den Hugenotten Laurent, der, wie es hieß, mehr Ehefrauen in Flandern und Spanien hatte, als ihm lieb sein konnte. Dennoch, wenn diese Männer Ruhe in der Andacht fanden, hatte Steel nichts dagegen einzuwenden. Einen Moment lang fühlte auch er sich auf eigenartige Weise von den Mysterien der Messe vereinnahmt, als die Männer zögerlich die ersten Verse eines Psalms anstimmten.
Da wurde Steel bewusst, dass ein kleiner Teil von ihm sich noch gut an die sonntäglichen Gottesdienste in der kleinen Kirche unweit seines Elternhauses erinnerte. Er musste an den jovialen Geistlichen Reverend McLuskey denken und an den furchtbaren Chor, dem zumeist einfache Landarbeiter angehörten. Natürlich entsann er sich seiner damals jungen und schönen Mutter, die in der Kirchenbank der Familie so andächtig der Predigt lauschte, neben Steels schnarchendem Vater. Wie anders nun alles war, da dieser bleiche und furchtbar ängstliche Geistliche hier vor ihnen stand. Doch Steel war klar, dass er nicht das Verlangen nach Glauben verspürte, sondern sich einfach nur in die friedvollen Tage der Vergangenheit zurücksehnte. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass er in der Kirche in Sielenbach etwas verspürt hatte. Er dachte wieder an den Altar dort und an die Pietà mit dem toten Christus. Vielleicht wurde ihm allmählich alles zu viel. Louisa. Jennings. Der bevorstehende Kampf.
Er beobachtete, wie die Rotröcke voller Inbrunst zu singen begannen, aus einer Verzweiflung heraus, die sich bei den meisten Männern im Angesicht des drohenden Todes einstellte. Denn während der bisweilen schiefe Gesang zum Himmel hinaufstieg, gingen die Kanonenkugeln der Franzosen gnadenlos auf die Regimenter nieder.
Die erste der Kugeln riss ein blutiges Loch in die Reihe Soldaten, die unmittelbar hinter dem notdürftigen Altar standen. Körper und Gliedmaßen wurden in das improvisierte Kirchenschiff geschleudert.
»… und erlöse uns von dem Bösen …«
Weiter hinten, innerhalb der zweiten Brigade von Cutts Division, begann ein hessisches Regiment, einen lutherischen Psalm zu intonieren. Die deutschen Verse wehte der Wind über die Soldaten hinweg.
Die Bemühungen des Geistlichen, den Gottesdienst abzuhalten, wurden zusehends von Schmerzensschreien unterbrochen, da die Kanonenkugeln erbarmungslose Beute machten. In diesem Augenblick sah Steel, wie der Kopf eines Schützen – mitsamt Hut – aus den Reihen der Männer gerissen wurde und dem Geistlichen am Gesicht vorbeiflog. Besudelt von Blut und Knochensplittern brachte der Pfarrer die letzten Worte zustande: »… et spiritu sancti. Amen.«
Damit schloss der Geistliche, der inzwischen leichenblass geworden war, die große schwarze Bibel mit zittrigen Händen, bekreuzigte sich und eilte raschen Schrittes zu
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