Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
sich keiner entziehen.
Steel setzte sich an die Spitze seiner halben Kompanie und hatte Henderson, einen der Neuankömmlinge, wenige Schritte hinter sich. Ein Junge von der englisch-schottischen Grenze. Steel wusste, dass er gern angelte. Als er sah, wie sehr der arme Kerl zitterte, legte er ihm eine Hand auf die Schulter und redete ihm gut zu. »Keine Sorge. Du schaffst das. Wir fühlen uns im Moment alle so. Bleib einfach in meiner Nähe.«
Dann wandte er sich seinen Männern zu. »Grenadiere, mir nach!«
Entlang der Linien der Bataillone taten es ihm die anderen Kompanieoffiziere gleich – Laurent, McInnery, Frampton und die anderen vertrauten Gesichter aus der Offiziersmesse.
Steel wusste Slaughter und Williams hinter sich. Der Sergeant hatte sich den Degen über die Schulter gelegt und marschierte mit grimmiger Miene weiter. Als Steel wieder hinüber zur feindlichen Stellung blickte, verspürte er die altbekannte Leere. Sein Hals war ganz trocken. Der Schweiß lief ihm unter der schweren roten Offiziersjacke am Körper hinab, und mit jedem Schritt schien das Vorwärtskommen schwieriger zu werden. Er hörte Slaughters Stimme.
»In der Reihe bleiben! Weiter, Männer, immer weiter!«
Steel, die Augen unverwandt auf die feindliche Stellung gerichtet, beschleunigte seine Schritte, und nach und nach, mit unnachgiebiger Gewissheit, wälzte sich die große Masse Rotröcke vorwärts. Steels Regiment trug den Kampf hinüber zum Feind.
***
Schon seit zwei Stunden schlenderte Aubrey Jennings die Reihen der französischen Armee entlang, da er wissen wollte, wie die Franzosen auf die neue Situation reagieren würden. Michelet hatte ihm mitgeteilt, es könne zum Kampf kommen, aber bei Tisch vertraten die Offiziere untereinander die Ansicht, Marschall Tallard ziehe es vor, nicht zu kämpfen. Marlborough werde seine Armee weiter nach Norden führen, in Sichtweite der Franzosen, hieß es. Also hatte Jennings sich beruhigt schlafen gelegt, hoffte er doch, alsbald die Kanalküste erreichen zu können. In Gedanken wähnte er sich bereits zurück in England und bräuchte dann nicht mit gemischten Gefühlen zu verfolgen, wie seine Landsleute von den Franzosen in Stücke gerissen wurden.
Doch alles hatte sich anders entwickelt. Jennings hatte die Nacht in einer Scheune östlich des kleinen Dorfes Blenheim verbracht, oder Blindheim, wie die Franzosen den Namen auszusprechen pflegten. Jetzt stand er auf einer leichten Anhöhe unweit dieser Scheune und konnte beobachten, wie die Alliierten sich für den Kampf formierten. Es sah nach einer gewaltigen Schlacht aus.
Marlborough stand offenbar kurz vor dem Angriff, denn Jennings vernahm die bekannten englischen Trommelwirbel, die die Soldaten vorantrieben. Er sah, wie die Fahnen ins Zentrum rückten. Die Offiziere setzten sich an die Spitzen ihrer Kompanien. Jennings erkannte die preußischen Verbände und die Kavallerie in der Mitte, darunter auch niederländische und hessische Truppen. Von ihm aus rechts sah er die Guards. Und dort, noch weiter rechts, nicht mehr weit von Blindheim entfernt, machte er das Andreaskreuz aus: Sir James Farquharsons Regiment of Foot.
Zweifel begannen an ihm zu nagen, denn genau in jenes Regiment gehörte er. Dort drüben waren seine Leute, auf der anderen Seite dieses Feldes, das bald von Blut getränkt sein würde. Denn Jennings war zuallererst ein britischer Offizier, der loyal zu seinem Land und zur Königin stand. Doch kaum waren die Zweifel in ihm hochgestiegen, sprach ihn ein anderer Teil seines Gewissens von der Pflichtvernachlässigung frei. Die innere Stimme versicherte ihm, dass seine Entscheidung richtig gewesen sei. Ein Ehrenmann habe nicht anders handeln können. Schließlich ginge es darum, das Land vor Gefahren zu bewahren. Aber Jennings spürte auch, dass er ein großes Opfer brachte – er war nicht bei seinen Männern, konnte nicht an den Erfahrungen des Regiments teilhaben. Das empfand er als großes Unglück.
Doch er beruhigte sich mit der Aussicht auf andere Schlachten unter anderen Kommandeuren. Jennings war mit seinen Gedanken wieder einmal in der Zukunft. Er malte sich die Feldzüge in Spanien aus, wo seiner Ansicht nach der Krieg entschieden würde. Glorreiche Siege fernab von den sumpfigen Niederungen der deutschen Lande warteten auf ihn. Doch innerlich war er zerrissen. Einerseits wünschte er sich, Marlborough möge mit Schimpf und Schande aus dem Dienst entlassen werden. Andererseits schrie irgendwo in seiner gequälten
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