Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
bei der Eroberung Ostendes hatte man ihn bei Hofe in den Rang eines Captains erhoben; das Patent hatte ihm niemand Geringeres als die Königin persönlich ausgehändigt. Denn bis dahin hatte Steel lediglich den Titularrang eines Captains geführt. In den Straßen Londons war er während einer Parade als Held des Feldzugs gefeiert worden. Balladensänger von Covent Garden bis Holborn hatten ihn mit Lob überhäuft, Veteranen hatten sich seine Heldentaten in den Kaffeehäusern wie White’s oder Old Man’s erzählt, ebenso in dem noch unter König William errichteten neuen Militärhospital in Chelsea.
Steel hatte sich damals gefragt, was wohl sein älterer Bruder gesagt hätte, hätte er ihn in all dem Pomp gesehen. Charles hatte ihn oft »Jack den Taugenichts« genannt; mehr als einmal hatte er ihn anderen Leuten mit den Worten vorgestellt: »Das ist Jack, mein glückloser Bruder, der es wohl zu nichts bringen wird.«
Steel ahnte, dass er in Charles’ Augen immer der kleine Angestellte in der Anwaltskanzlei bleiben würde, der im Beruf versagt hatte, oder der mittellose Soldat, der sich sein Offizierspatent von seiner Geliebten bezahlen ließ. Was würde Charles nun sagen, wenn er Captain Steel sähe, den Helden von Ostende?
Einen Moment lang musste er auch an seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Alexander denken, einen bekennenden Jakobiten, der mit seinen politischen Vorstellungen die Familie gespalten hatte – oder das, was von der Familie noch übrig geblieben war. Alexander war einst von zu Hause aufgebrochen, um sich dem im Exil lebenden König James in Paris anzuschließen. Seit fünf Jahren hatte Steel nun schon nichts mehr von Alexander gehört. Was mochte aus ihm geworden sein?
Tatsächlich hatte er sich des Öfteren ausgemalt, irgendwo auf den Schlachtfeldern des Kontinents auf Alexander zu stoßen, ahnte er doch, dass sein Bruder die Uniform der »Wild Geese« tragen würde, jener irischen Regimenter in französischem Sold, die für eine besiegte Dynastie und ein besiegtes Land so tapfer kämpften. Vielleicht war Alexander längst verwundet oder gar verstümmelt.
Immer wieder befiel Steel ein Gefühl tiefer Melancholie und innerer Leere, sobald er sich bewusst machte, dass er seine Kindheit, seine Jugend und seine Wurzeln in Schottland endgültig hinter sich gelassen hatte, als er auf Drängen seiner Geliebten im Range eines Lieutenants in die Guards eingetreten war. Inzwischen wusste er, dass seine wahre Familie aus jenen Männern bestand, die hinter ihm auf diesem Feld standen – all die Jungs und die hübsche, eigenwillige junge Frau, die in dem kleinen, sündhaft teuren Apartment in Brüssel auf ihn wartete.
Rang und Erfolg waren für Steel zwar wichtig für die Karriere, aber immer wieder führte er sich vor Augen, dass der wahre Gewinn der blutigen Tage in Ostende Henrietta gewesen war. Steel hatte sie aus den Händen eines französischen Freibeuters befreit – eines skrupellosen Piraten, um es auf den Punkt zu bringen –, der in Diensten des Sonnenkönigs stand. Jener René Duguay-Trouin hatte sowohl Henrietta als auch Steel selbst in einer Folterkammer unterhalb einer Schänke gefangen gehalten. Den eigenen Tod vor Augen, hatten sie mit ansehen müssen, wie ein Freund aus Ostende eines grässlichen Todes starb.
Letzten Endes hatte Steel Henrietta aus jenem Ort des Schreckens befreien können, und dafür schenkte sie ihm ihre Liebe. Das stand außer Zweifel. Und inzwischen, als die Jahre verstrichen, machte er es sich zur Aufgabe, seine Frau davon zu überzeugen, dass es noch mehr Gründe für ihre Liebe gab – Tugenden, die sie noch nicht an ihrem Mann kennengelernt hatte. Sich allein im Leben durchschlagen zu müssen, für das eigene Überleben zu kämpfen und das Dasein eines Soldaten zu fristen, war eine Sache. Aber es war etwas anderes, wenn man in die Schlacht zog und wusste, dass es dort jenseits des Trosses jemanden gab, der auf einen wartete. Steel war glücklich und stolz, dass Henrietta ihm nach Flandern gefolgt war, obwohl es ihn in Wirklichkeit nicht wunderte, wenn er bedachte, wie beharrlich und resolut sie sein konnte.
Marlboroughs Armee folgte stets ein großer Tross mit sogenannten Schlachtenbummlern, die es bei jeder Armee gab – Frauen, Kinder, Ehefrauen oder Geliebte. Doch die wenigsten davon waren Gemahlinnen der Offiziere. Das war etwas, das er an Henrietta bewunderte: Ihr unabhängiger Geist, der eng mit ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft verwoben war. Er
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