Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
und Ruhm und um die unterschiedlichen Vorzüge des englischen Porter und des schottischen Ale. Doch nach und nach ebbten die Gespräche ab, da immer mehr Männer in Schweigen verfielen.
Was nach Steels Dafürhalten kaum verwunderlich war. Denn inzwischen harrten die Grenadiere seit fast zwei Stunden hier am Ufer aus, und je näher der Tod kam, desto untrüglicher wurden die Anzeichen von Ungeduld und Beklommenheit unter den Männern. Auf dem langen Marsch von Gefecht zu Gefecht hatten sie sechzig Meilen in nur fünfzig Stunden zurückgelegt, bisweilen querfeldein. Und inzwischen verfolgten diejenigen, die sich nicht hingesetzt hatten, ein blutiges Gemetzel auf der anderen Seite der Schelde. Manch einer, der in den Sog des Kampflärms geraten war, beobachtete das Treiben mit einer Mischung aus Widerwillen und Faszination.
Es gab nichts Schlimmeres für einen Soldaten, ging es Steel durch den Kopf, abgesehen vom Tod selbst oder von Verstümmelungen. Nein, nichts war schlimmer als dieses Warten. Denn immer dann hatte die Angst Zeit, sich wie ein böser Geist in den Männern zu regen und sich in die Magengegend zu fressen. Jeden plagte die Gewissheit, dass bald alle in diesen Strudel aus heißem Blei, kaltem Stahl und zerfetzten Leibern hineingezogen werden würden, der dort in dem kleinen Talkessel wütete. Steel ahnte, dass der Einsatzbefehl nicht mehr lange auf sich warten ließe, und dann sollte es möglichst schnell losgehen.
Steel wandte sich an die Männer, die hinter ihm warteten, und sah in einer Entfernung von wenigen Schritten den jungen, rotwangigen Fähnrich der Kompanie, Tom Williams. Inzwischen war er zwanzig Jahre alt und wirkte nicht mehr wie der linkische Junge, der er einst gewesen war, als er sich vor nunmehr vier Jahren in das Bataillon eingekauft hatte – Sir James Farquharsons Regiment of Foot. Williams war unmittelbar vor dem großen Sieg von Blenheim zu Steels Kompanie gestoßen, vor Marlboroughs erstem bedeutenden Triumph, zu dem das Regiment in bedeutendem Maße beigetragen hatte. Insbesondere Steels Grenadieren hatte die Schlacht am Schellenberg Ruhm eingebracht. Seither hatte Steel sich im Verlauf des Feldzuges dem jungen Burschen in fast väterlicher Fürsorge verpflichtet gefühlt. Wann immer nötig, erteilte er Williams Ratschläge oder tadelte ihn in angemessener Weise.
»Tom, ich denke, wir sollten die Männer erneut antreten lassen. Es dürfte nicht mehr lange dauern, so wie die Dinge liegen. Also appellieren wir am besten an ihren Mut, wie? Ihr könnt noch einmal die Waffen der Jungs inspizieren. Ich will, dass jede Muskete überprüft und nochmals überprüft wird. Und sorgt dafür, dass die Bajonette gut eingefettet sind. Oh, und bevor Ihr Eurer Pflicht nachkommt, zerrt Ihr diese drei Narren dort drüben vom Ufer zurück. Sie könnten sich bei ihrem Wettstreit als willkommenes Ziel für die Franzosen erweisen, und wir wollen doch nicht grundlos feindliches Feuer auf uns lenken.«
Der Fähnrich lachte. Er liebte Steels trockenen Humor und war insgeheim ein klein wenig neidisch auf seinen Captain, da dieser so gut mit den Männern klarkam. Williams eiferte Steel in allen Belangen nach; er hätte wahrlich kein besseres Vorbild haben können. Für ihn war Steel der geborene Anführer: In ihm vereinigten sich die Eigenschaften eines Gentleman mit einem aufrichtigen Mitgefühl gegenüber den Soldaten. Gleichzeitig gelang es Steel immer wieder, Distanz zu wahren; er besaß das Gespür dafür, den Männern im rechten Moment zu zeigen, wer der Offizier war und wer der einfache Soldat. Kurzum, für Männer wie Tom Williams verkörperte Jack Steel all das, was einen tapferen Soldaten ausmachte: In der Schlacht behielt Steel kühlen Kopf, war rücksichtslos und unnachgiebig im Kampf Mann gegen Mann und handelte stets intuitiv und pragmatisch. Ganz zu schweigen davon, dass der Captain der Grenadiere obendrein noch beneidenswert gut aussah und mit seinen sechs Fuß die meisten gewöhnlichen Soldaten überragte. Alles in allem reichten diese Charakteristika aus, um einen Mann wie Steel zum Helden der jungen, aufstrebenden Offiziere zu machen.
In der Tat hoffte Williams, dass er eines Tages genauso beliebt bei den Männern sein würde wie Steel, wenn auch er in den Rang eines Captains erhoben würde oder – eines fernen Tages – seine eigene Kompanie befehligte.
Falls er so lange am Leben blieb.
Doch der junge Fähnrich wusste, dass er nicht so denken durfte. Hatten ihm das die Sergeants
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