Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
Euch, Major. Der Zweck meines Auftrages.« Er griff in seine Westentasche, holte das Schreiben von Marlborough hervor und reichte es Charpentier. »Eine Ehrenbezeugung, Monsieur, die den Beweis unserer guten Absichten enthält, niedergeschrieben von Herzog Marlborough persönlich. Der Brief ist an Euren König adressiert.«
Der Major nahm den Brief entgegen, warf einen kurzen Blick auf die Handschrift und steckte ihn dann in seine Weste.
»Habt Dank, Captain. Mir ist bewusst, dass Ihr viel riskiert habt, um dieses äußerst wichtige Dokument zu überbringen. Seid versichert, dass es den Mann erreichen wird, dem es zugedacht ist. Und beten wir, dass es seinen Zweck erfüllt. Dieser Krieg lässt Frankreich ausbluten. Wenn wir zulassen, dass er weitergeführt wird, werden all unsere jungen Männer getötet oder verstümmelt. Der König hat die Orientierung verloren. Oh, er ist ein großartiger Mann, glaubt mir, vielleicht der größte, den wir je gesehen haben. Aber jetzt, Captain, ist er alt. Er versteht nicht, was es heutzutage bedeutet, Krieg zu führen. Er kann das Leid nicht ermessen. Und in wessen Namen findet dieser Krieg statt? Für ein größeres Frankreich? Oder geht es dem König um etwas anderes? Um was könnte es ihm sonst noch gehen? Um den spanischen Thron? Ein nutzloses Land. Treibt ihn die Eitelkeit? Prahlerei? Nein, nicht mehr. Er wird von seinen Generälen kontrolliert. Aber wenn er dieses Schreiben seines ärgsten Widersachers in Händen hält, der ihm Frieden unter akzeptablen Bedingungen anbietet, setzt er diesem Irrsinn vielleicht ein Ende. Und dann könnt Ihr alle zu Euren Lieben zurück, ehe Ihr getötet werdet oder als Krüppel endet, so wie ich.«
Sein Tonfall war von Verbitterung gekennzeichnet, und Steel sah, dass Tränen in den Augen des Mannes schillerten. »Habt Ihr sie gesehen?« Er deutete auf den Innenhof. »Meine Kinder? Meine Patienten? Es sind junge Männer, die meisten von ihnen jedenfalls. Aber junge Männer, die keine Zukunft mehr haben, Captain. Sie werden keine Familien gründen. Keine Kinder zeugen. Ihnen werden die Freuden des Lebens unbekannt sein. Ich höre sie in der Nacht weinen, wenn ich über die Korridore wandle.«
Er hielt inne und trat ans Fenster, wo er einen der Miniatur-Soldaten in die Hand nahm. »Also werde ich diesen Brief persönlich dem König überbringen. Und ich werde ihm ausrichten, Captain Steel, wer der Mann war, der mir das Schreiben hierher nach Paris gebracht hat. Captain Jack Steel, der Held von Britanniens großer Armee, ist gekommen, um mich zu treffen, und bietet uns einen ehrenvollen Frieden an. Vielleicht wird unser König sich dann wieder auf die Stimme der Vernunft besinnen. Dadurch kann er noch einmal wahre Geistesgröße beweisen.«
Er rieb sich mit einer Hand über die Augen. »Und jetzt, da Ihr einmal hier seid, Captain, erlaubt mir, Euch die Gastfreundschaft der Invalides zuteilwerden zu lassen. Ihr seid mein Gast, ganz gleich, wo Eure wahre Treue liegt. Ich spreche von einem Soldaten zum anderen. Lasst mich Euch zeigen, wie ein echter Monarch seine Soldaten belohnt, die sich im Kampf für seinen Namen und seinen Ruhm aufopfern.«
8.
Der Major führte Steel durch das Besprechungszimmer zur Tür, ging voraus durch das Vorzimmer und bat Steel in die kühle, im oberen Stockwerk verlaufende Arkade, die den Innenhof des Les Invalides wie eine Galerie einfasste. Als Steel über die Brustwehr hinunter auf das Kopfsteinpflaster schaute, sah er Infanteristen, die drei Glieder tief Aufstellung bezogen hatten. Doch sie trugen die Uniform der Invaliden: dunkelblauen Stoff, abgesetzt mit Scharlachrot, dazu einen weichen Infanteriehut. Die Soldaten trugen Halbpiken, die Offiziere Degen; sie ordneten ihre Reihen genauso präzise wie alle anderen Einheiten, die Steel kannte, vielleicht mit Ausnahme der Foot Guards. Dieser Anblick war umso bemerkenswerter, wenn man sich vergegenwärtigte, was diese Männer von anderen Soldaten unterschied – ihre körperliche Verfassung. Die meisten waren Amputierte. Der Mehrzahl dieser Infanteristen fehlte ein Bein, das man durch einen Holzpflock ersetzt hatte. Andere hatten Augen oder Hände eingebüßt.
»Seht Ihr, wie sich unsere Patienten weiter dem militärischen Drill unterziehen? Spürt Ihr den Stolz dieser Männer, Captain? Sie müssen über Jahre ununterbrochen in der Armee gedient haben, um hier in der Einrichtung zugelassen zu werden. Und natürlich müssen sie eine unheilbare Behinderung haben.
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