Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
und alle weiteren Fragen erübrigten sich für Steel. Als er dem jungen Mann in die Augen blickte, fuhr ihm ein Schauer über den Rücken. Er erstarrte. Für den Bruchteil einer Sekunde wähnte er sich in einem Traum. Schwindel erfasste ihn. Dann erst verarbeitete er die Worte des Majors.
»Captain Johnson, darf ich Euch mit Captain Alexander Steel bekannt machen?«
Der Mann, der Steel mit einem freundlichen Lächeln anschaute, war niemand anders als sein jüngerer Bruder.
Alexander Steel war ungefähr zwei Zoll kleiner als sein Bruder Jack, doch er hatte die gleiche athletische Statur. Auch er hatte von der Mutter die spitze Nase und die durchdringenden blauen Augen geerbt. Glücklicherweise trug Alexander eine lange Perücke, sonst wäre den beiden anderen Männern wahrscheinlich aufgefallen, wie ähnlich sich die beiden Offiziere sahen.
Einen Moment lang schwiegen die Brüder und musterten einander. Als Alexander dann das lastende Schweigen brach, atmete Steel erleichtert auf.
»Ist mir eine Ehre, Sir. Ihr dient unter Clare? Traurige Geschichte, was Seiner Hoheit in Ramillies widerfahren ist.«
»In der Tat, Captain. Es war furchtbar mit anzusehen.«
»Oh, Ihr wart zugegen? Als O’Brien starb?«
»Ich stand so dicht neben ihm wie jetzt neben Euch.«
Alexander lächelte. »Nun, das ist mir ein Trost. Ich meine, es muss für Mylord Clare ein Trost gewesen sein zu wissen, dass er von treuen Freunden und Landsleuten umgeben war.«
Steel bemerkte den ironischen Unterton in Alexanders Stimme und hoffte, dass er den beiden Franzosen entgangen war. Immer noch starrte er seinen jüngeren Bruder ungläubig an. Hatte Alexander gewusst, dass er, Steel, hierherkommen würde? War er in Charpentiers Pläne eingeweiht? Steel hatte Alexander stets nur als eingefleischten Jakobiten gekannt. Hatte er seiner Überzeugung abgeschworen? Das war nicht seine Art. Vielleicht war alles eine Falle. Andererseits: Was nutzte er einem Mann wie Charpentier?
Als Steel spürte, dass er schon viel zu lange kein Wort mehr gesagt hatte, unterbrach er den Blickkontakt mit seinem Bruder und wandte sich stattdessen dem anderen Mann zu, Major Malbec. Er hoffte auf einen Austausch unverfänglicher Höflichkeiten, sah aber auf den ersten Blick, dass ihm an diesem französischen Offizier, dessen Gesicht von Narben gezeichnet war, irgendetwas bekannt vorkam. Doch er wusste nicht, wo er diesen Mann jemals gesehen haben könnte, und ärgerte sich, dass sein Erinnerungsvermögen ihn im Stich ließ. Wenigstens ließ der Mann zu Steels Erleichterung nicht erkennen, Steel schon einmal begegnet zu sein.
Dennoch hatte es für einen kurzen Moment auf Steel so gewirkt, als habe auch Malbec überlegt, ob dieser »Ire« ihm nicht bereits über den Weg gelaufen war. Wann immer er den Major gesehen haben mochte – für Steel stand fest, dass die Umstände der Begegnung alles andere als freundlich gewesen waren.
Major Charpentier schien sich über die eigenartige Stille zu wundern, versuchte dann aber, die Anspannung im Raum zu überspielen und deutete auf die Miniatursoldaten auf dem Tisch.
»Was haltet Ihr von diesen Figuren, Captain? Sie sind so etwas wie eine Leidenschaft von mir geworden. Für einen alten Soldaten, der nur noch ein Bein hat, gibt es nicht mehr viel zu tun. Doch meine kleinen Tischsoldaten hier halten mich bei Laune. Die meisten sind ein Geschenk von meinem König, Gott erhalte den teuren Menschen. Aber dies sind nur ein paar hundert Figuren von vielen tausend, die er von seinem Vater erbte, als er auf den Thron kam. Damals war Ludwig erst vier Jahre alt, ein Kleinkind, das in den Königsstand gestoßen wurde. Aber wie ist er gewachsen! Unsere Generäle brachten Seiner Majestät die Kunst des Krieges bei, müsst Ihr wissen.«
»Ihr könnt nicht leugnen, dass sie Seine Majestät gut unterrichtet haben, Major«, sagte Malbec. »Seit nunmehr vier Jahrzehnten befinden wir uns im Kriegszustand. Und seht, welche Siege Ludwig für sich in Anspruch nehmen kann: Kassel, Rheinfeld, Fleurus, Neerwinden. Was für Ruhm, Charpentier! Das müsst selbst Ihr mit Eurem verstümmelten Bein zugeben. Und wie viele erbeutete Fahnen brachten wir mit, um damit die Wände in Versailles zu schmücken? Wisst Ihr, Charpentier, vielleicht würden auch wir noch die ein oder andere Lektion lernen, wenn wir ein paar Manöver mit diesen Figuren machen.«
Das triumphierende Frohlocken des Majors ließ Steel innerlich zusammenzucken. Er verbiss sich einen Kommentar,
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