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Stefan Bonner und Anne Weiss

Stefan Bonner und Anne Weiss

Titel: Stefan Bonner und Anne Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Generation Doof
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bestens Bescheid zu wissen – schließlich ist jeder von uns mal selbst zur Schule gegangen. Gleichzeitig haben wir ständig den Eindruck, dass alle Welt un-ser Kind falsch behandelt. »Sie wollen Ihr Thermometer meinem Adrian in den Po stecken, Sie perverses Schwein?!«, fuhr eine Mutter den Arzt im Krankenhaus an, der bei ihrem Kind Fieber messen wollte.
    Wenn Erzieherinnen es wagen, Besorgnis über unsere Sprösslinge zu äußern, dann empfinden wir das gar als Übergriff auf un ser Privatleben und als persönliche Beleidigung: Sabrina Fühl bei spielsweise arbeitet nachmittags als Halbtagskraft in einem Kölner Kinderhort. Als ein Kind drei Tage hintereinander nach der Schule nicht im Hort erschien, rief sie die Eltern an und wies diese darauf hin, dass sie ihr Kind hätten entschuldigen müssen. Der Junge kam auch an den darauffolgenden Tagen nicht. Da die Eltern mittlerweile nicht mehr ans Telefon gingen, suchte Sabrina sie persönlich auf. Die Mutter kam wie eine Furie aus der Haustür geschossen und trug dabei einen Gesichtsausdruck zur Schau, als wolle sie Sabrina am liebsten mit der Fußmatte einen Scheitel ziehen. Was sie sich denn erlaube, einen solchen Telefonterror zu veranstalten, bekam Sabrina zu hören. Und nun würde sie die Eltern auch noch persönlich bedrängen. Das sei ja Hausfriedensbruch! »Mein Junge will nicht mehr in Ihren blöden Hort. Er will nachmittags lieber Computer spielen!«, schrie die Mutter. »Ich hab ihm gesagt, dass er zu Hause bleiben kann. Wozu brauchen Sie denn eine schriftliche Entschuldigung? Sie haben doch Augen im Kopf und sehen, dass das Kind nicht da ist!«
    Gerne möchte man daran glauben, dass hinter solchen Aus fällen ein ernsthaftes und hart durchdachtes Erziehungskonzept steckt, das durch jahrelange Erfahrung ausgeklügelt und daher auf den ersten Blick nicht verständlich sein mag. Doch das fällt schwer, denn Souveränität ist etwas anderes. Man kann sich gut vorstellen, dass jemand, der schon als Kind nur auf Eigenbedürfnisbefriedi gung getrimmt wird, auch später im Beruf ähnliche Allüren an den Tag legen wird. Sich beim Meister abmelden, um den ganzen Tag Computerspiele zu spielen? Denkste, Alter!
    Die Erziehung, so beklagen die beruflich zur Nettigkeit verpflich-teten Kindergartentanten vielerorts, werde ganz und gar ihnen übertragen. Und ihre Arbeit wird oft unterschätzt. In Internetforen ärgern Kindergärtnerinnen sich über den allgemein vorherrschen-den Irrglauben, dass man als Erzieherin doch nur spielen müsse. Und das ist noch das harmloseste Vorurteil. Weniger harmlos ist das Schicksal, das dieser ausgesprochene Frauenberuf mit dem der Krankenschwester teilt: Das Klischee der Kindergärtnerin ist eine Mischung aus Hausfrauenseele und naivem Dummchen. Daher eignen sich Kindergärtnerinnen wie die dreiundzwanzigjährige Jenny aus Chemnitz auch als Seite-eins-Mädchen in BILD. Ob Jenny wirklich Kindergärtnerin ist? Wir wissen es nicht. Sie besitzt jedenfalls andere Entertainerqualitäten als die, die eine Erzieherin für ihren Job benötigt.
    Denn in diesem Beruf muss man vor allen Dingen Alleinunter-halter spielen können. Den Kindern werden inzwischen oft schon keine Spiele mehr vorgegeben, sondern mehrere Spielangebote gemacht, die sie annehmen oder ablehnen können. Dann sitzt die eine Erzieherin allein in ihrem Raum, während sich die Kinder samt und sonders bei der Kollegin tummeln.
    Nicole Kraft, zweiunddreißig, hat den Job der Erzieherin inzwischen aufgegeben. Einer der Gründe: Sie hatte keine Lust mehr, ständig gegen die Spielangebote der Multimedia-Unter- halterin im Nebenzimmer zu konkurrieren. Weitere Gründe: zu wenig Geld, zu krasse Kinder und zu krasse Eltern. Sie hat stattdessen einen gut verdienenden Mann geheiratet und selbst Nachwuchs bekommen. Jetzt sitzt sie bei den Elternsprechtagen auf der anderen Seite und hat genauso viel am Erziehungsstil der ehemaligen Kolleginnen zu bemängeln wie die übrigen Mütter und Väter.
    Nina Markwitz, neunundzwanzig, ist hingegen erst gar nicht eingestellt worden. Denn bei jedem Vorstellungsgespräch auf eine befristete Stelle als Erzieherin mutmaßte man, dass sie selbst si-cher bald Kinder kriegen wolle, oder? Man wolle ihr aber gerne ein sechsmonatiges unbezahltes Praktikum anbieten. Die fast zehn Jahre Berufserfahrung, die Nina bereits besaß, nehme man dabei gern in Kauf.
    Trotz der Mäkelei an der Erziehungsarbeit der Kindergärtnerinnen: Wir brauchen den Hort, je früher, desto

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