Stefan Bonner und Anne Weiss
immun: »Ja, wenn ich jemanden hätte wie die Super Nanny, dann wäre Dana bestimmt nicht mit dreizehn auf dem Kinderstrich gelandet. Aber ich bin eben beim Telefon-Casting nicht durchgekom men.«
Coaching-TV für Familien hat sich zu einem echten Trend entwickelt. In der RTL II-Doku-Soap Liebling, wir bringen die Kinder um! werden dem Volk so spritzige und neuartige Thesen präsentiert wie »Falsches Essen ist schlecht für Ihre Kinder!« oder »In der Ge genwart Ihrer Sprösslinge sollten Sie nicht rauchen!« Wo bleiben da auch die Umgangsformen: Bieten Sie Ihren Kindern dann wenigstens eine Kippe an!
Die Generation Doof lässt sich vom Familien-Coaching im Fernsehen zu einer handlungsunfähigen, unmündigen und faulen Masse degradieren. Das ist schlimm, das ist Bügelfernsehen! Und damit die kommende Generation das auch schön fortsetzt, wird ihnen das Fernsehen schon früh schmackhaft gemacht. Als ob das nicht genug wäre, kommen dazu noch die Stunden, die man vom öffentlich-rechtlichen und privaten Netz abgekapselt vor der X-Box und dem Videorekorder verbringt.
Anne erzählt: Das, worüber sich die Familie meiner Freundin Dora an Weihnach ten am meisten gefreut hat, war die sehnlichst erwartete neue Spie lekonsole namens Wii. Das gesamte Weihnachtsfest waren Dora, ihr Mann und mein Patenkind Marie nicht vom Fernseher wegzu-bewegen. Selbst das Essen wurde vor dem Kasten eingenommen.
Als ich zu Neujahr mit Marie telefoniere, behält diese offenbar immer wachsam den Fernseher im Auge, um zu schauen, wie sich das Spiel in ihrer telefonisch bedingten Abwesenheit entwickelt. Ihre Konzentration kann sich gar nicht entscheiden, wo sie hin will.
»Was macht ihr denn gerade?«, frage ich.
»Och«, antwortet Marie, fünf Jahre, geistesabwesend. »Spielt ihr gerade was?«, bohre ich weiter und seufze innerlich bei
der Erinnerung an gute alte Brettspielabende. Das gibt es in Doras Familie gar nicht mehr, so scheint es jedenfalls.
»Jaaaa«, kommt es gedehnt zurück.
»Und was?«, will ich ein wenig ungeduldig wissen. »Och, Papa und Mama spielen mit der …« Sie bricht ab. »Womit?«
»… mit der Wii.«
Ich seufze nun auch laut. »Und, willst du mitspielen?« »Jaa«, kommt es nach einer Pause zurück.
»Wollen wir dann ein andermal telefonieren?«, frage ich resig-niert.
»Nö«, erwidert Marie einsilbig. »Dann erzähl mir doch mal, was ihr diese Woche im Kindergarten gemacht habt.«
»Nichts Besonderes.«
»Habt ihr was gebastelt?«
»Hm …«, erwidert sie.
»Marie?«, frage ich. Dann etwas lauter: »Marie???«
Ich höre minutenlang nichts. Irgendwann erklingt von ferne Doras Stimme: »Marie, wenn du nicht mehr mit Tante Anne telefonieren willst, dann leg bitte auf!«
»Ich kann nicht!«, schreit mein Patenkind, das den Hörer of fenbar schon lange beiseitegelegt hat. »Ich spiel doch grad mit Papa mit der Wii …!«
Der Fernseher ist inzwischen einer unserer wichtigsten Bildungs partner. Es ist bequem, die Kinder einfach der Obhut der Glot ze oder des Gamepads anzuvertrauen. Zudem lernen sie aus dem Fernsehen wichtige Dinge für das Überleben in unserer Zivilisa tion. Jagen und Sammeln war gestern. Heute lernen wir Shoppen. Laut einer Untersuchung der Zeitschrift Eltern ist dies die Lieb lingsbeschäftigung der Zwölfjährigen in Deutschland. Glücklicherweise müssen Kinder heutzutage nicht mehr in der Wildnis überleben. Sie würden sich vermutlich auch nicht mehr mit der Welt arrangieren können, in der wir älteren Angehörigen der Ge neration Doof aufgewachsen sind. Die meisten würden vermutlich glauben, sie befänden sich in einer Art medialer Steinzeit. Es gab nur drei Programme und in den meisten Haushalten nur Schwarz Weiß-Fernseher. Das Zeitalter des Kabelfernsehens begann erst im Jahr 1983, Sat.1 war 1984 der erste deutsche Privatsender, und der erste Pay-TV-Sender PREMIERE ging 1991 auf Sendung.
Geradezu ausgehungert nach Entertainment und sich bewegen den Bildchen stürzten sich die Babys der Siebziger und Kinder der Achtziger nach Jahren der harten Entbehrungen auf die neuen Er rungenschaften VHS-Videorekorder und C 64. Die Simpel-Grafik aus herumflitzenden Pixeln bei so einfachen Spielen wie Pong von Atari-Gründer Nolan Bushnell oder Summer Games bewegte die Computerfans damals noch dazu, Stunden vor den flimmernden Kisten zu verbringen.
Vielleicht wollen wir darum jetzt unseren Kindern den Spaß an der schönen neuen DVD-und Videospielewelt mit immer bunteren und realistischeren Bildern
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