Stefan Bonner und Anne Weiss
Vorwand parat, wenn wir unsere Kinder nicht ermahnen. Sandra Pustet, dreiunddreißig Jahre, eine überlas-tete Vollzeitmutter aus Bremen, erklärt, warum sie Carlotta, vier Jahre, die klaren Vorzüge des Stillsitzens und Mundhaltens nicht nahe bringt: »Die anderen sagen ihren Kindern doch auch nicht, dass sie das lassen sollen. Warum sollte Carlotta denn schlechter dran sein als die?«
Dieses Argument stinkt, denn es ist so alt wie ein guter franzö- sischer Käse. Und auch die Antwort hat einen Bart. Sie lautet: »Und wenn alle von einer Klippe springen, springst du dann hinterher?«
Sandra ist eine der Mütter, die bald an einem Burn-out-Syn drom leiden werden, weil das Kindererziehen so nervenaufreibend ist. Sie und ihre Schwestern im Geiste sind im Regionalverkehr der Bahn unterwegs und kosten kinderlose Mitreisende den letz
ten Nerv: Ein sonniger Nachmittag in den Zügen des Verkehrsver bunds Rhein-Sieg. Die Menschen fahren nach getaner Ar-beit nach Hause. Alles ist wunderbar, alles ist schön. Alles? Nein. Ein kleiner Teil des Waggons hat sich abgesondert und bietet der Stille und Gemütlichkeit Paroli. Zwei Kinder jagen sich kreischend durch das Abteil. Die dazugehörigen Mütter verharren abgeschlafft auf der gepolsterten Sitzbank.
Mutti Nummer eins hebt die Schultern und sagt seufzend zu Mutti Nummer zwei: »Also, ich weiß echt nicht mehr, was ich jetzt noch machen soll.«
Die andere nickt verständig und seufzt ebenfalls leidend. »Ja, was soll man auch tun? Die machen ja doch, was sie wollen.«
Die Kinder rennen derweil weiter durch das Abteil. Keine der Mütter unternimmt den Versuch, das zu verhindern.
»Na ja«, sagt die erste nach einer Weile, »wir müssen dann die nächste raus.«
Darauf die andere: »Okay, dann noch mal viel Glück.«
Viel Glück?! Was hat Erziehung mit Glück zu tun? Was diesen bei den Müttern fehlt, sind Nerven: Sie haben keinen Nerv, und zwar im Sinne von »keine Lust« auf Erziehung. Anstatt sich mal zusammenzureißen und mit einem Ratgeber für moderne Kinderhaltung statt mit dem genervten Ehegatten ins Bett zu gehen, wählen sie den Weg des geringsten Widerstands.
So wächst eine Generation von Orientierungslosen und verzoge nen Einzelkindern mit unsäglichen Ansprüchen und unaussprech lichen Syndromen heran. Nicht grundlos stand Bernhard Buebs Buch Lob der Disziplin wochenlang auf der Bestsellerliste, denn es bot eine Orientierungshilfe, die uns sonst fehlt. Der ehemalige Lei ter der renommierten Internatsschule Schloss Salem stellt in seinem Essay über den Schliff, den uns Erziehung verpassen sollte, fest: Es ist die Spaßgesellschaft, die einen Teil der Probleme verursacht. Bueb moniert die narzisstische Anspruchshaltung vieler Kinder und Jugendlicher. Diese seien nicht bereit, sich anzustrengen, hät-ten nur Sinn für das eigene Vergnügen und besäßen eine unstillbare Gier nach Konsumgütern. Dasselbe lässt sich allerdings auch über die Eltern sagen, die der Generation Doof entstammen. Denn nicht die Kinder sind das Problem, sondern wir, die wir Einfluss auf sie nehmen und sie prägen.
»Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische El tern«, sagte schon der britische Pädagoge A. S. Neill. Er hatte recht: Wenn Eltern in einer Umfrage des Gewis-Instituts vermuten, dass die Medien an vielem schuld seien, bleibt die Frage offen, wer denn das Computerchen gekauft und die Playstation angeschleppt hat? Jedes zweite Kind darf fernsehen und Videospiele spielen, wann und so lange es will.
Nach dem Modell eines beliebten Werbespots könnte eine typische Konversation zwischen Vater und Tochter dann folgen dermaßen ablaufen:
Kind: »Ich kenn da ein Mädchen aus meiner Klasse. Und der Vater von der, der hat eine Playstation und ganz viele Ballerspiele!« Papa: »Das sind doch Gewalttäter.«
Kind: »Und Bernd hat ein Spiel mit einem ganz coolen MG, damit
kann man um sich ballern, wie man will!«
Papa: »Gewalttäter.«
Kind: »Papa, wenn ich groß bin, dann will ich auch mal Gewalttä
ter werden.«
Ohne die hypnotische Wirkung von Film und Fernsehen kommen uns unsere Kinder oft arg anstrengend vor. Woran auch immer es liegt – deutsche Eltern fühlen sich durch die Geburt eines Kindes stärker überfordert als Eltern in anderen Ländern. Kein Wunder, dass aus kleinen Nervensägen schließlich große werden.
Natürlich darf man als Mutter oder Vater auch mal die Faxen dicke haben und die Füße hochlegen. Aber die Generation Doof treibt es auf die
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