Stefan Bonner und Anne Weiss
Büro eingepfercht, um Texte in den Computer zu tippen, die angeblich von größter Wichtigkeit sind und über das Schicksal der Welt entscheiden. In jedem Satz befinden sich gleich mehrere Wortungetüme: »Die Einschätzung der Eigenkapi-talvermittlungsprovision mit ertragssteuerlichen Beurteilungen nach Vorkostenabzug bei einkommensteuerrechtlichem Nießbrauch aus teilweise vermieteten Gebäuden ergibt zweifelsohne die Notwendigkeit einer absoluten Neuregelung.«
Zu allem Überfluss habe ich die ganze Zeit auch noch für Miss Mobbing persönlich gearbeitet: Anita.
Anita ist so dumm, wie ihr Hüftumfang breit ist. Sie kommt immer ins Büro, um erst mal richtig zu frühstücken und dann alle mit Geschichten über ihren hyperbegabten, aber sehr wortkargen Sohn zu nerven. Zwischendurch steht sie am Fax und wirkt extrem gestresst, danach muss sie sich üblicherweise erst mal erholen, in-dem sie ausführlich mit ihrer besten Freundin telefoniert.
Um zwölf geht sie für eine Stunde zu Aldi, um den Familienein kauf zu erledigen, und genießt anschließend ausgiebig im Büro ihre Mittagspause. Am frühen Nachmittag verabschiedet sie sich stets heute mal ein bisschen früher«, weil sie ihr hochbegabtes Kind aus dem Förderunterricht abholen muss. Pflichtbewusst nimmt sie sich jeden Tag Arbeit mit nach Hause, um sie abends gemütlich bei einer Flasche Wein im Wohnzimmer zu erledigen.
Trotz dieses enormen Engagements ist Anita komischerweise stän dig mit der Arbeit im Rückstand. Das hat sie allerdings in den zurückliegenden Monaten recht geschickt gelöst: Alles, was bei ihr am Vorabend »liegen geblieben« ist, hat sie mir am nächsten Morgen auf den Schreibtisch geknallt. »Det is allet janz dringend«, sagte sie dann, und ich musste jedes Mal aufpassen, dass mich ihr Atem nicht besoffen machte. »Kiek ma zu, datte det bis heut Mittag durch has.« Hab ich meistens mit Müh und Not geschafft, geglänzt hat damit Anita.
Aber jetzt ist die Tortur endlich vorbei. Mein letzter Arbeitstag! Anita hält mich noch immer im Arm; es kommt mir vor, als wollte sie mich nie wieder loslassen. Kein Wunder, denn jetzt hat sie kei nen mehr, der die Arbeit für sie erledigt.
Als ich mittags zum Abschied mit den anderen Kolleginnen et was essen ging, erfuhr ich, dass Anita dem Chef ständig Geschich ten über mich erzählte: Ich würde morgens im Büro frühstücken, dauernd mit Freundinnen telefonieren, immer früher gehen und mich abends volllaufen lassen.
Anita presst sich eine Träne heraus, entlässt mich langsam aus ihrer Umklammerung und wiederholt noch mal: »Ick werd dir so vermissen!«
»Du mich auch«, antworte ich und verbessere mich gleich: »Äh, ich dich auch …«
Wer es mit geschickter Arbeitsumverteilung und passablem Selbst marketing in die Chefetage schaffen will, muss freilich noch etwas tiefer in die Trickkiste greifen. Und er muss spröde Verbindlichkeit an den Tag legen. Denn jedes Lächeln und jedes Wort darüber hi-naus sind Zeitfresser.
In ihren ersten Monaten in der Agentur bemühte sich Christina Lenker noch vermehrt um Freundlichkeit: Sie stellte sich telefonisch vor, begrüßte den Anrufer mit schleimscheißerischem Höchstauf-wand und wünschte ihm am Ende einen extraschönen Tag, bevor sie sich verabschiedete. Eines konnte sich Christina jedoch nicht erklären: Während sie die letzen Worte sprach, knallte am anderen Ende oft schon der Hörer auf.
Solche kommunikationstechnologische Pampigkeit könnte man »Speedphoning« nennen. Wer sich des Speedphonings bedient, hat sich als Berufstäuscher etabliert. Er oder sie ist wahrscheinlich schon lange im Geschäft und möchte ganz schnell ganz nach oben. Der rasche Telefonhörerwegwurf will jedoch gekonnt sein. Was der Werfer damit sagen will: Du Würstchen, sei froh, dass ich überhaupt mit dir gesprochen habe! Bei mir ist dermaßen die Kacke am Dampfen, dass ich eigentlich keine Zeit habe, mit Pappnasen wie dir zu reden. Und nerv mich nicht mit irgendwelchen guten Verwünschungen. Wenn man so wichtig ist wie ich, hat man verdammt noch mal zu tun!
»Kluge leben von den Dummen. Dumme leben von der Arbeit.« Robert Lembke In leicht abgewandelter Form kann man die Speedphoning-Nummer genauso gut mit modernen Kommunikationsmitteln durch-führen. Falls Sie sich wie Christina auch schon mal gefragt haben, warum Ihnen Kollegen, die fünf Schritte entfernt sitzen, eine unverständliche, mehrseitige E-Mail schreiben, statt eben mal vorbei zuschauen – hier ist die
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