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Stefan Bonner und Anne Weiss

Stefan Bonner und Anne Weiss

Titel: Stefan Bonner und Anne Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Generation Doof
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viermal, oft eine ganze Woche. Auf zehn Jahre verteilt kommt da schnell ein ganzes Jahr Hamburg-Aufenthalt zusammen – wenn man so großzügig ist wie Christina. Und das ist ja dann nicht wirklich gelogen, oder?
    Christina hat es auf diese Weise jedenfalls zu ihrem Traumjob gebracht, ohne allerdings zu ahnen, dass es großer Anstrengung bedarf, jeden Tag erneut allen etwas vorzuspielen. Die Agentur, in der sie arbeitet, residiert in einem Großraumbüro, abgetrennte Einzelbüros gibt es nur für die Mitglieder der Geschäftsführung. Christina kann ihre Kollegen daher gut im Auge behalten – und die beobachten umgekehrt auch sie genau. »Manchmal komme ich mir vor wie ein Schauspieler auf einer Theaterbühne«, sagt sie und lächelt süffisant. »Jeder versucht, sich mit einer Aura der Unfehlbar-keit und Wichtigkeit zu umgeben. Da muss man schon zwangswei-se mitmachen.«
    Zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Agentur hatte Christina noch einen recht geregelten Tagesablauf. Sie stand um sieben auf, nahm sich Zeit, um sich zurechtzumachen und in Ruhe zu frühstücken, dann fuhr sie zur Arbeit und saß gegen neun Uhr an ihrem Platz. Nach einer Weile stellte sie fest, dass die meisten Kollegen zwar ebenfalls überpünktlich waren, aber im Büro erst mal frühstück ten. Die meistgestöhnten Sätze waren: »Oh, Mann, ich hab’s zu Hause schon wieder nicht geschafft!«, »Macht mir gar nichts aus, beim Frühstücken zu arbeiten«, »Ich ess eh nicht so viel«, oder »Das hier ist dringend, da hab ich schon zu Hause dran gesessen. Ich hab einfach keine Zeit für ein Fünf-Gänge-Menü.« Manche haben durch den Kaffeegenuss beim Bürofrühstück in zwei Jahren bereits vier Tastaturen verschlissen.
    Dieses Verhalten und die passenden Wortmeldungen zur Früh-stücksorgie sollen zeigen: Ich bin so wichtig – für ein spießiges Frühstück daheim habe ich einfach keine Zeit. Ich bin engagier ter als andere und nehme meine körperlichen Bedürfnisse nicht so ernst. Ich mach das nebenbei!
    Inzwischen hat sich auch Christina angewöhnt, in der Agen tur zu frühstücken. Und sie hat noch etwas dazugelernt: Nach der Frühstückszeremonie sollte man gleich mit der Klagewelle begin nen. »Oh, Mensch, das gibt’s doch nicht: sechzig neue Mails! Wie soll ich das denn packen?!« Anfangs hat sich Christina immer gewundert, warum sie höchstens fünf bis zehn neue Mails hatte und die auch in einer Viertelstunde abgearbeitet waren. Irgendwann ist ihr klar geworden, was sie falsch macht: Sie zählt die Spam-Mails nie mit.
Der Klagende wird als besonders wichtig und beschäftigt wahrgenommen. Hinter der Botschaft verbirgt sich nämlich der Subtext: Macht ihr nur euren Pipikram – ich bewältige die Mailflut schon und rette so das Unternehmen vor dem sicheren Konkurs. Verlasst euch drauf. Es wäre allerdings nett, wenn ihr mich mit weiteren anstrengenden Aufgaben verschonen würdet.
    Fortgeschrittene ergänzen diese kleine Showeinlage durch eine fulminante Multitasking-Nummer, die sich am besten über den ganzen Tag erstreckt. Dazu sollte man möglichst viele Aufgaben gleichzeitig anfangen, aber keine zügig zum Abschluss bringen. Optisch und akustisch unterfüttert man den selbst inszenierten Stress am besten mit passenden Begleitmaßnahmen: unkontrolliertes Herumklicken mit der Maus, Stöhnen und verdrehte Au-gen, oder Stoßgebete wie: »Herr, lass Hirn regnen, alles Deppen da draußen.«
    Zwischendurch sollte man auch immer wieder unerwartet aufsprin gen, mit gehetztem Blick aus dem Zimmer stürzen und den Gang hinuntergaloppieren. Die dadurch gewonnene Zeit kann man mit einer Zeitung auf dem Klo verbringen. Sollte einem unterwegs der Chef begegnen, hält man am besten die Luft so lange an, bis man einen roten Kopf bekommt. Signalwirkung für den Vorgesetzten: Sein Mitarbeiter leidet stressbedingt an Bluthochdruck und opfert sich bis zum Kollaps für das Unternehmen auf.
    In Wahrheit sollte man sich natürlich bei der Arbeit zurückhal ten und vor allem nicht alles selbst erledigen. Hoppla, jetzt komm ich – der Delegator!
    Anne erzählt:
    »Ick werd dir so vermissen!«, sagt Anita und drückt mich dermaßen fest an sich, dass ich den Schweißgeruch ihrer Klamotten inhalie-ren kann. Ich habe gerade die langweiligsten zehn Monate meines Lebens im Sekretariat einer Kanzlei verbracht.
    Nicht nur, dass ich gezwungen war, meine Wachstunden mit den ödesten Menschen auf dem Planeten zu verbringen. Man hat mich den lieben langen Tag in einem

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