Stefan Bonner und Anne Weiss
Großrechnern wie dem Zuse Z1 bis zum verrückten Computerspielkid war es allerdings ein langer, be-schwerlicher Weg. Im medialen Steinzeitalter mutmaßte man zwar schon darüber, dass die neue Technik einen totalitären Big Brother hervorbringen könnte – aber dass die neuen Geräte einmal eine tragende Rolle bei der Verblödung einer gesamten Generation einnehmen würden, konnten unsere Vorfahren freilich kaum ahnen. Damals lasen die Menschen ja auch noch Bücher und wussten, dass Hannibal die Alpen mithilfe von Elefanten und nicht mit Lamas überquerte, wie ein Kandidat bei Günther Jauch einmal vermutete. Früher gab es noch keine PCs. Es war das goldene Zeitalter der großen Unterhaltungsabende. Es gab Zum Blauen Bock mit Heinz Schenk, und das Fernsehgerät hatte noch keinen japanischen Nachnamen. Das Weihnachtsprogramm bestand aus Literaturver-filmungen wie Der Seewolf, und aufrechte Moderatoren wie Hans Rosenthal fragten das Publikum bei Dalli Dalli, ob wir die Sen dung wirklich spitze fanden. Das traut sich heute niemand mehr, vielleicht aus Angst vor einer ehrlichen Antwort.
Doch der wahre Grund dafür, dass sich niemand ernsthaft be schwert, ist, dass wir heutzutage mit Fernsehen, Computer und Internet geradezu verschmolzen sind. Diese Medien bestimmen mehr denn je unser Leben und vor allem unsere Freizeit. Es scheint tatsächlich so, als seien der Fernseher oder das Internet für viele von uns die Fenster zu einer besseren Welt. Hier treffen wir virtuelle Freunde, die uns oft vertrauter sind als unsere echte Familie.
»Ich konnte mir ein Leben ohne Fernsehen schon gar nicht mehr vorstellen, und vor allem konnte ich mich an ein Leben ohne Fernseher gar nicht mehr erinnern. Der Fernseher war immer da gewesen.«
Frank Goosen, Liegen Lernen Wie kindisch und blöd das ist, hält man uns schon lange vor. »Wer-det endlich erwachsen!«, rief der Bund Deutscher Psychologen vor ein paar Jahren. Auch Wolfgang Bergmann, der an der Uni Han nover Marathon-Glotzer und Dauerdaddler unter die Lupe nimmt, kann dem laxen Freizeitvertreib nichts abgewinnen: »Die werden blöd und entwickeln Defizite aller Art«, sagt er über die Generation Doof. Und mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Die Schlange unserer Kritiker ist lang, wir hören jeden Tag Hiobsbot schaften in Radio und Fernsehen über uns selbst, lesen von Amok-läufern, die angeblich von Ballerspielen verführt worden sind, und von Bildungsdefiziten, die mit unserem Fernsehkonsum in Ver bindung gebracht werden: Schon Helmut Schmidt warnte bei der Einführung des Privatfernsehens davor, dass wir uns in Gefahren begäben, die schlimmer seien als die Atomkraft, und der Kultur wissenschaftler und Medienkritiker Neil Postman sorgte sich zuletzt, dass wir uns alle zu Tode amüsieren würden.
Haben die Kritiker recht, und sind wir tatsächlich nur eine mun-tere Ansammlung von Vollzeitjugendlichen und Profigammlern mit Flachbildschirm vor dem Kopf und Gamepad in der Hand?
Zumindest statistisch sieht es für die Generation Doof nicht besonders gut aus: Deutsche im Alter zwischen 14 und 39 Jahren sehen durchschnittlich täglich rund 260 Minuten fern. Das sind knapp 30 Stunden in der Woche, etwa 120 Stunden im Monat, oder insgesamt 65 Tage im Jahr. Angenommen, man bringt es bei gleichzeitiger Bewegungsarmut und geregelter Zufuhr von Chips und Dosenbier auf ein stattliches Alter von 70 Jahren, dann ver bringt man bis dahin über 4500 Tage vor der Mattscheibe. Das sind immerhin etwa 12,5 Jahre.
Was treibt uns dazu, so viel Lebenszeit mit beweglichen bunten Bildchen zu verbringen?
»Fernsehen ist das einzige Schlafmittel, das mit den Augen eingenommen wird.« Vittorio de Sica Wir selbst kennen gute Gründe fürs Einschalten und Dauerglot-zen. Erstens: Wir müssen es nicht mühsam erlernen, und wir müssen uns auch nicht großartig dabei anstrengen. Zweitens: Es hilft uns, den Alltag auszublenden und uns auf die Freizeit ein zugrooven – so gut, dass wir uns kaum noch mit etwas anderem beschäftigen.
Out of Sight – Der Fernseher ist nicht zum Hinschauen da, sondern zum Abschalten Wenn im Kölner Mediapark abends in den Büros die Lichter ausge hen, sitzt Ilka Lenger oft noch an ihrem Schreibtisch. Selten macht sie pünktlich Feierabend, und danach warten knappe dreißig Kilometer Heimweg im Auto auf sie. Wenn sie schließlich den Motor anlässt, freut sie sich schon auf einen gelungenen Abend mit Chips auf dem Sofa vor dem ausladenden
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