Stefan Bonner und Anne Weiss
Essen im Fastfood-Tempel quäkt im Hintergrund eine MTV-Moderatorin, in der Bankfiliale und im Fitnessstudio liest der nette Onkel von n-tv die Börsenkurse vor, und in der U-Bahn-Haltestelle hängt über den Gleisen ein Infoscreen, auf dem aktuelle und äußerst nebensächliche News gesendet werden. Und selbst im ICE haben die Fenster mittlerweile 16:9-Format – was ganz schön gemein ist, weil man so die vorbeiziehende Landschaft schnell mit dem Bildschirmschoner auf dem Laptop verwechseln kann, der vor einem auf dem Tisch steht. Egal, was soll’s: Bei dem Dauergedudel, das uns den ganzen Tag um Kopf, Ohren und Au gen schwirrt, wissen wir nach einer Weile ohnehin nicht mehr, was wir gerade sehen, hören oder lesen. Und wir wollen es eigentlich auch nicht wissen. Denn wir schalten ein, um abzuschalten, egal, was gerade kommt.
»Der mündige Bürger soll selbstverständlich selbst entscheiden, welche Fernsehsendungen er ein-oder ausschaltet, aber man soll ihm diese Entscheidung erleichtern, indem man einige Sendungen nicht herstellt, die er dann abschalten könnte.« Dieter Hildebrandt Vielen aus der Generation Doof ergeht es da mittlerweile so wie Ilka Lenger. Das liegt daran, dass uns die Vielfalt des Medienan-gebots schlicht überfordert: Eher holzt man den Regenwald komplett ab, als dass man den Blätterwald am Kiosk lichtet, und bei über fünfundsiebzig Millionen Internetseiten kann man sich tot-googeln, wenn man es drauf anlegt. Auch die Fernsehlandschaft ist ein Nirwana für TV-Fetischisten: Vor lauter Sendungen sieht man das Programm nicht mehr – allein die acht größten Sender strahlen zweihundertfünfzig Formate aus. Dieser Umstand erklärt, warum Programmzeitschriften, die zu zwei Dritteln aus Tabellen bestehen die bestverkauften Listen einer Nation sind, die ansonsten einen großen Bogen um alles macht, was nach Tabelle aussieht.
»Am zuverlässigsten unterscheiden sich die einzelnen Fernsehprogramme noch immer durch den Wetterbericht.« Woody Allen
Bei all den Programmen fällt es uns ohne entsprechende Wegweiser schwer, eine gezielte Wahl zu treffen und auch dabei zu bleiben. Nicht ohne Grund stocken Medienkonzerne ihre Werbebudgets in schwindelerregende Höhen auf. Um jeden einzelnen Zuschauer wird mit harten Bandagen gekämpft.
Dennoch bleibt ihr Einsatz meist vergeblich, denn es überwiegt das Prinzip »Hingezappt und festgeglotzt«. Wir schalten einfach mal auf gut Glück ein, um zu sehen, was gerade so läuft, und nicht, weil wir eine bestimmte Sendung ausgewählt haben oder uns der Sender durch seine Eigenwerbung so sympathisch ist. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat herausgefunden, dass unter den 16-bis 29-Jährigen 75 Prozent einfach wahllos durch die TV-Ka näle schalten. »Fernsehen ist unkonzentrierter geworden«, so das Fazit der Meinungsforscher.
Das mag an der mangelhaften Qualität vieler Sendungen liegen: Bei dem, was das moderne Fernsehen zu bieten hat, bleibt einem oft keine andere Wahl, als den Kanal zu wechseln, wenn es zu hane-büchen wird. »Wenn Sie heute das Fernsehen anschalten, sehen Sie nur dummes Zeug«, meinte vor kurzem noch Fernseh-Urgestein und »Ekel-Alfred«-Erfinder Wolfgang Menge. Und damit hat er sicher nicht ganz unrecht. Wer sich Dieter Bohlens blöde Sprüche länger als fünf Minuten am Stück anhört, redet am Ende selber so. Und wer sich zur Hauptsendezeit ein Stück Pizza reinpfeifen möch te und dann bei Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! mit ansehen muss, wie Costa Cordalis ein paar lebende Würmer runterwürgt, dem vergeht ziemlich schnell der Appetit. Angehende Proktologen sehen vielleicht noch interessiert zu, wenn sich Johnny Knoxville in der MTV-Blödelshow Jackass eine Colaflasche in den Hintern schiebt. Wenn selbiger dann aber die rohen Zutaten für ein Rührei isst, diese anschließend wieder in eine Pfanne erbricht, das Ganze dann brät und aufisst, dann … ja, dann zappt man doch lieber wei ter. Von Entern oder Kentern mit der liebreizenden Ex-Pilotin und Ex-Talkerin Sonja Zietlow wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Wenn wir nicht schon völlig abgestumpft sind, ärgern wir uns über solch geistige Diarrhö und schieben die Schuld mit Genuss den Fernsehmachern zu. Wir können doch nichts dafür, was die senden. Wir sind gezwungen zuzusehen, weil es nichts anderes gibt. Gerne behaupten wir: Das Fernsehen macht die Menschen dumm. Ein Leser der FAZ schreibt beispielsweise auf der Internetseite der Zeitung: »Der
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