Stefan Bonner und Anne Weiss
Flachbildfernseher.
Eine von Ilkas Lieblingssendungen ist Germany’s Next Topmo del. Dabei kann sie gut vom stressigen Alltag ausspannen, denn das Barbiepuppentheater erfordert nicht allzu viel Konzentration. Während der Vorspann läuft, geht Ilka in die Küche und macht sich einen Salat. Mittendrin klingelt das Telefon, eine Freundin ist dran, sie sieht es an der Nummer auf dem Display. Ilka hat aber keine Lust ranzugehen. Sie sinkt lieber in das Fauteuil und stopft sich vor dem Fernseher ihr Abendessen rein. Damit übt sie die Lieb lingsfreizeitbeschäftigung der Generation Doof aus: Wir kommen nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause und haben nichts Besseres zu tun, als uns mit Fernsehen vollzudröhnen.
Ilkas Energielevel sinkt auf Unter-Keller-Niveau, während auf dem Bildschirm Heidi Klums Nachwuchstruppe in einem Fuß ballstadion gastiert. Vor gut zwanzigtausend johlenden Fans sollen die Mädchen schaulaufen. Der Plan ist simpel: Angetan mit einem knappen Bikini im Fußballdesign sollen die angehenden Topmodels über das satte Grün zum Mittelkreis stolzieren, dort kurz die Hüften kreisen lassen, ohne Verzögerung kehrtmachen und wieder Richtung Katakomben marschieren. Eigentlich ganz einfach.
Die Show beginnt. Bruce Darnell, Heidi Klums charismatischer Model-Dompteur, peitscht die Truppe mit einem feurigen »Go, go, go!« auf den Rasen, als gelte es, eine Schar widerspenstiger Gänse in die Arena zu jagen. Allen voran stakst hoch erhobenen Blond-schopfs die schlanke Denise. Sie will heute richtig Gas geben und an den Konkurrentinnen vorbeiziehen, um sich bei der Show zu bewähren.
Sie schafft es, ohne zu stolpern, über die fein gezogene weiße Linie bis zum Mittelkreis zu balancieren. Dort angekommen voll führt sie abrupt eine Vollbremsung, präsentiert den Zuschauern die einzigen zwei Bälle, für die sich Männer abseits des Fußballleders noch begeistern können, und marschiert dann energisch weiter geradeaus, anstatt wie besprochen kehrtzumachen.
Die nachfolgende Modelschar staunt ob der eigenmächtigen Planänderung, doch es gelingt den Mädels, Eigenständigkeit zu bewahren und am Mittelkreis die vorgeschriebene Wende zu voll-führen. Denise läuft derweil weiter unbeirrt auf die andere Seite des Platzes zu, wo ihr die verdutzten Linienrichter fahnenschwenkend signalisieren, dass sie sich im Abseits befindet.
Bruce Darnell wirkt plötzlich trotz seiner Naturbräune ziemlich blass. Heidi Klum patscht sich mit der Hand vor die Stirn, genau wie viele der Fernsehzuschauer.
Später versucht Denise in den Katakomben des Stadions vor laufenden Kameras eine Erklärung für ihren Fauxpas zu finden. Mit kieksender Stimme lässt sie die neugierigen Fernsehzuschauer wissen, dass man sich ja normalerweise überhaupt keine Vorstel lung davon macht, wie verdammt schwer es sein kann, geradeaus zu laufen.
Das gibt es doch nicht, denkt sich auch Ilka, diese Show ist ein fach unglaublich seicht! Sie kann allerdings nicht behaupten, dass es sie sonderlich stört. Eigentlich schaltet sie sie gerade deshalb so gerne ein, weil die Handlung unter jedem Türschlitz durchpasst und leicht aufzunehmen ist. Ilka kann sich dabei hervorragend ent-spannen. »Nach der Arbeit bin ich so platt, da habe ich überhaupt keine Lust mehr, mich mit komplizierten Themen zu beschäftigen«, erklärt sie. »Der Fernseher läuft eher so nebenher. Ich räume dabei oft noch auf, mache die Wäsche oder koche.«
Manchmal schläft sie auch vor dem Gerät ein. Ist vielleicht besser so. Ilka muss lachen. »Ja«, gibt sie zu, »wahrscheinlich sind solche Sendungen genau dafür gemacht – zum Einschlafen.« Da-mit der Fernseher nicht die ganze Nacht läuft, stellt sie immer vorsorglich den Timer, der ihn spätestens um ein Uhr morgens abschaltet.
»Fernsehen ist Kaugummi für die Augen.«
Orson Welles Ilka ist mit ihrer Vorliebe für leichte Unterhaltung nicht alleine. Fernsehen hat in Deutschland den Fußball als Volkssport abgelöst. Von zehn Deutschen sitzen täglich sieben vor der Kiste – auf das gesamte Land bezogen macht das 61 Millionen Menschen. Die Fra ge ist, was diese vielen Menschen da die ganze Zeit machen. Sitzen sie wie hypnotisierte Kaninchen auf der Couch, oder läuft das Ge-rät eher nebenbei, wie bei Ilka?
Man muss den Vielsehern zugute halten, dass wir an die Dauerberieselung gewöhnt sind, weil man ihr nur noch schwerlich entge-hen kann. Egal, wo man sich gerade aufhält, es läuft garantiert ein Fernseher: Beim
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