Stefan Bonner und Anne Weiss
selbst noch aus einer überfahrenen Hauskatze einen saftigen Braten macht. Aber lassen Sie das nicht den Top Do? sehen, denn Deutschlands zukünftiger Superhund fürchtet sonst um sein Leben. Läuft alles nach Plan, ruft man freudig We are family! Manchmal geht das alles natürlich auch schrecklich schief. Dann zeigt die Ehe Ermüdungserscheinungen, und Mann denkt über einen Frauentausch nach. Spätestens nach der Scheidung steht Berater Peter Zwegat auf der Matte und hilft einem Raus aus den Schulden. Mit null Cent in der Tasche und gepfändetem Bankkonto kann man am Ende eigentlich nur noch an Mein neues Leben denken, auswandern und sagen: Goodbye Deutschland!
Weiß der Himmel, welche absonderlichen Sendungen uns dem-nächst noch erwarten. Wer sich noch daran erinnert, wo sich der Ausschaltknopf am Fernsehgerät befindet, fragt sich unwillkürlich, warum man sich so viel pralle Normalität unbedingt im Fernsehen anschauen muss. Erleben wir diese langweiligen Alltagssituationen nicht andauernd selbst?
Warum wir lieber anderen beim Leben zusehen, statt uns an dem unsrigen zu erfreuen, hat die Zeitschrift Brigitte entschlüs selt. Die neue Lust am Voyeurismus erklärt sie mit dem »Drei-E- Modell«: Erschrecken, Erkenntnis, Entlastung. In der ersten Phase bleibt uns vor Entsetzen die Luft weg, dass es solch unverhohlenen Schwachsinn und so traurige Gestalten überhaupt im Fernsehen zu bestaunen gibt. Dann reift langsam die Erkenntnis: Andere Menschen haben die gleichen Probleme wie wir, oder ihr Leben ist noch chaotischer. Dass es anderen nicht besser geht als uns, beruhigt uns irgendwie und sorgt für Entlastung – widerlegt es doch den verstö renden Ausspruch des Dichters Robert Gernhardt: »Beklage dich nicht, wenn du im Leben zu kurz kommst. Dafür geht es anderen ja besser.«
Die Generation Doof fühlt sich in dem Modell der Reality-Show wohl. Wir lieben das Zuschauen bei Chips und Piccolo, genau wie die alten Römer, die sich bei Brot und Spielen darüber amüsierten, wie andere zu Großkatzenfutter wurden. Heute freuen wir uns, wenn die Bank dem Freak im Fernsehen das Haus wegpfändet, und uns steigen die Tränen in die Augen, wenn eine Mutter ihr Baby im Inkubator zum ersten Mal berühren darf. Gut, dass uns so etwas nicht passiert. Um diesen Kick der Katharsis zu bekommen, ziehen wir uns eine Reality-Sendung nach der anderen rein.
Dumm und dümmer – Macht uns der seichte Freizeitvertreib blöd? Bisher konnte niemand diese Frage zweifelsfrei und sicher beant worten, denn dazu müsste man erst einmal Folgendes herausfin den: Wer war zuerst da, der Freak oder der Fernseher? Es ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Schlauer macht die Dauerglotzerei jedenfalls nicht, im Gegenteil. Übermäßiger Fernsehkonsum macht uns »dick, dumm, krank und traurig«, meint Christian Pfeif-fer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Das KFN hat in einer Untersuchung herausgefunden, dass Fernsehen und Intelligenz auf dem Kriegsfuß stehen. Je früher die Bestrahlung beginnt, desto größer der Schaden.
Welchen Einfluss das Fernsehen vor allem auf den Nachwuchs der Generation Doof hat, lässt sich tagtäglich beobachten, zum Beispiel in der Grundschule. Petra Tabers ist Lehrerin in einer vier ten Klasse. »Das Lieblingsspiel der Kinder in der Pause ist heute nicht mehr Fußball oder Verstecken, sondern ›Dieter Bohlen‹«, sagt sie. Wie in der echten Show kaspert ein Kind vor einer dreiköpfigen Jury rum, die dann möglichst lautstark und vernichtend über den Auftritt urteilt. Die Rolle des Dieter Bohlen ist dabei begehrter als ein Part im Weihnachtstheaterspiel. Gewonnen hat am Ende nicht der kleine Kandidat mit der schönsten Stimme, sondern der, der in der Jury am weitesten die Klappe aufreißt. »Sie lernen, wie man den anderen am besten fertig macht«, sagt Petra Tabers. Es bedarf seitens der Lehrer reichlicher Anstrengung, damit das neue Spiel das Sozialverhalten nicht völlig demoliert. Auswendig lernen die Kinder heute ohnehin allenfalls noch die Sprüche der Stars. Die Darnell’sche Lebensweisheit »Ohne Tasche keine Competition!« kenne beispielsweise jedes Kind in der Klasse, sagt Petra Tabers. Da kann man nur sagen: »Drama, Baby, ein echtes Drama.«
Wissenschaftler an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg haben zudem herausgefunden, dass Fernsehexzesse auch die schu-lischen Leistungen beeinträchtigen. Kinder und Jugendliche, die in der Freizeit viel Zeit vor der
Weitere Kostenlose Bücher