Stefan Bonner und Anne Weiss
sie mit dem Versprechen, uns später mit einem ordentlichen Mittagessen zu beglücken.
Das stört uns nicht. Wir beschließen, die Szene mit dem Hai nachzuspielen. Patty hat aus dem letzten Mallorca-Urlaub zwei Plastik-Haifischfiguren mitgebracht. An die wollen wir jetzt seine alten Masters-of-the-Universe-Figuren verfüttern. Wir bewaffnen uns mit zwei scharfen Küchenmessern und roter Tinte, damit wir das Blut möglichst echt imitieren können.
Während wir He-Man und Man-at-Arms Arme und Beine ab schneiden und dann den Haien in den Rachen stopfen, läuft im Hintergrund die neue Otto-Platte. Wir haben einen Heidenspaß. Bis zu dem Moment, als ich mit dem Messer abrutsche. Bei den Gummi-Spielzeugfiguren muss man einiges an Kraft investieren, um einen glatten Schnitt hinzubekommen. Und so schneidet die Klinge mühelos in meine Daumenkuppe, quer durch den Nagel.
Im ersten Moment tut es nicht mal weh. Ich ziehe das Messer behutsam aus meinem Daumen und beobachte fasziniert, wie sich das Blut recht zügig auf dem Teppich ausbreitet.
»Upps …«, bringe ich hervor.
»Ist ja echt geil.« Aus Pattys Stimme klingt ehrliche Bewunderung.
Während ich noch überlege, ob ich jetzt sterben muss, öffnet sich erneut die Tür. Pattys Mutter steht im Türrahmen.
Der Anblick: Ihr Sohn und sein bester Freund inmitten von zerstückelten Spielzeugfiguren, deren abgetrennte Arme, Beine und Köpfe im ganzen Zimmer verstreut sind. Die langen Küchenmesser in unseren Händen. Das eine ist blutverschmiert und hat offenbar eben noch in einem Daumen gesteckt, aus dem jetzt ordentlich Blut quillt. Patty sieht mit seinen roten Haaren ohnehin aus wie eine Mischung aus Pumuckl und Chucky, der Mörderpuppe. Der Teppich ist mittlerweile ziemlich rot.
Das Tablett mit dem Mittagessen fällt ihr aus der Hand und kracht scheppernd zu Boden. Sie wird kreidebleich und setzt zu ei nem Schrei an, der so laut ist, dass in der Nachbarschaft alle Hunde losbellen.
»Hab doch gesagt, dass ihr von dem Videozeug noch bekloppt Werdet!«, kreischt sie. »Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?«
Dann bemerkt sie endlich, dass ich kurz vor dem Exitus ste he, und will den Krankenwagen rufen. Patty ist pragmatischer. Er rennt in die Kellerwerkstatt und kommt mit einer Tube Sekundenkleber wieder. Den schmiert er mir ohne schuldhaftes Verzögern in die Wunde. Es brennt wie Zunder, aber die Blutung ist gestoppt.
Pattys Mutter hat das Treiben fassungslos verfolgt. »Beide total bekloppt!«, stammelt sie nur noch und fährt mich dann zum Arzt.
Patty und ich sind keine Gewalttäter geworden. Wir haben bis jetzt niemanden erschossen oder auf andere grausame Weise getötet, und wir sind auch nicht völlig auf den Kopf gefallen. Eigentlich erstaunlich, wenn man es recht bedenkt. Dafür habe ich jetzt stets eine Tube Sekundenkleber im Haus. Man weiß ja nie. Was wir damit sagen wollen: Man kann der völligen Fernsehverblö- dung durchaus entkommen. Unter bestimmten Voraussetzungen. Als wir Kinder waren, hatten wir noch das Glück, dass sich unsere Eltern einigermaßen regelmäßig um uns kümmerten. Sie konnten uns zwar auch nicht völlig daran hindern, uns die Zeit mit Gewaltfilmen zu vertreiben. Aber wenn sie es bemerkten – und das taten sie meistens –, dann konnten sie uns wenigstens klarmachen, dass wir uns auf dem Weg in die Klapse befanden. Die heutige Eltern fraktion der Generation Doof ist da weniger umsichtig, denn sie parkt ihren Nachwuchs oft blindlings vor der Glotze und schaut nicht mehr hin, welchen Programmen oder Filmen die Kids sich hingeben.
Das Kind ist dann schnell in die Röhre gefallen. Eine strengere Kontrolle wäre also durchaus angebracht, zumal die im Rückblick eher lauen Horrorfilme von »damals« heute in den Kinderzimmern längst durch knallharte Ballerspiele ersetzt worden sind. Und die sind scheinbar wesentlich gefährlicher – zumindest, wenn man der Behauptung glaubt, dass hinter jedem Actionspiel-Fan ein Psycho-path steckt.
Bang, Bang, You’re Dead – Nicht jeder Killerspieler will den Killer spielen Zum Thema Ballerspiele benötigt man eigentlich keine wissenschaft lichen Studien über deren Wirkungsweise. Wer wie viele Angehöri ge unserer doofen Generation öfter mal zum virtuellen Schießeisen greift, ist vor allem in den Augen derer, die so etwas noch nie selbst gespielt haben, nicht nur dumm, sondern auch gemeingefährlich und gewalttätig. Alle, die nicht freiwillig den Abgang machen, wenn wir Gamepad-Gringos das Pflaster
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