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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Ernst Haeckel. Fast alle Propheten der Jahrhundertwende aber beriefen sich auf den einen, der die Krise nicht nur diagnostiziert, sondern auch bereits entscheidende Stichworte zu ihrer Überwindung geliefert hatte: Friedrich Nietzsche.
    George war wohl 1891 durch Carl August Klein auf ihn aufmerksam gemacht geworden. 23 Im Dezember des folgenden Jahres erschien Nietzsches Name zum ersten Mal in den Blättern ; der Philosoph wurde dort als »orator« eingeführt. Mit diesem Begriff habe George zu verstehen geben wollen, dass er Nietzsche »weder von der aesthetischen noch von der philosophischen Seite sieht, sondern vom Gesamtgeistigen, von seinem Lebenspathos her«. 24 Wie stark ihn dieses auch berührt haben mag: Weder mit der Person noch mit den Schriften Nietzsches, die er damals wohl nur kursorisch las, konnte sich George auf Dauer anfreunden. Das Laute und Schrille sei ihm immer »peinlich« gewesen. 25 Schon 1893 hatte der Soziologe Ferdinand Tönnies vor dem modischen Radikalismus der »Nietzsche-Narren« gewarnt. 26 Aufhalten ließ sich die Welle jedoch nicht, und spätestens bei seinem Tod erlangte Nietzsche Kultstatus. »Für meine Generation war er das Erdbeben der Epoche«, heißt es später bei Gottfried Benn. 27
    Um aus Nietzsches übermächtigem Schatten herauszutreten, suggerierte George zunächst eine gewisse zeitliche Überschneidung ihres Auftretens. Dies schien ihm der sicherste Schutz vor Angriffen, alles, was er sage, sei so oder ähnlich von Nietzsche auch schon gesagt worden. Gern erzählte er und ließ dies später auch durch seinen Biographen Wolters verbreiten, er habe Turin in eben dem Augenblick betreten, in dem der umnachtete Nietzsche dort abgeholt wurde; dabei war George Anfang 1889 gar nicht in Turin gewesen. 28 Als Karl Wolfskehl 1910 in einer kurzen Geschichte der Blätter für die Kunst feststellte, dass viele von Nietzsches Sätzen »wie umbildungen dessen
klingen was in den Blättern seit dem tage ihres bestehens gefordert« worden sei, war die Chronologie vollends auf den Kopf gestellt. 29 So zu tun, als habe »die Wirkung Nietzsches mit der Georges ungefähr gleichzeitig begonnen«, sei Verrat, entrüstetete sich der Kulturphilosoph Kurt Breysig. Nietzsches öffentliche Wirkung habe eingesetzt, als George gerade seine ersten Bände veröffentlichte, und deshalb sei George »in Wahrheit ein Erbe Nietzsches«. 30
    Überschnitten haben sich die Biographien Nietzsches und Georges nur partiell, nämlich im Werk des Berliner Malers, Bildhauers und Architekten Curt Stoeving (1863-1939). Im Zuge der von Nietzsches Schwester nach ihrer Rückkehr aus Paraguay betriebenen Sakralisierung war Stoeving 1894 mit einem Nietzsche-Porträt beauftragt worden. Weitere Gemälde, Büsten und Plaketten folgten; im August 1900 nahm Stoeving Nietzsche die Totenmaske ab, die George und Gundolf zwei Monate später bei ihm bewunderten, »obgleich sie etwas misslungen ist was sie aber nur rodinisiert«. 31 Von George, den er über Lechter kennengelernt hatte, fertigte Stoeving 1897 eine Silberstiftzeichnung, die rasch weite Verbreitung fand. Rilke nannte sie in einer Rezension »das feinste Porträt« des Künstlers: »Lorenzo il magnifico in einem Traume Burne-Jones’; so etwa«. 32 Im Jahr 1902, als das Stoeving-Porträt als Frontispiz im George-Buch von Ludwig Klages erschien, bildete die Leipziger Illustrierte zwei Werke Stoevings nebeneinander ab: ein Bronzerelief Georges und einen Nietzsche-Kopf. Nietzsche und George stießen auch im Werk des mit George befreundeten Malers und Grafikers Karl Bauer aufeinander, der 1902/03 kurz hintereinander zwei seiner bekanntesten Lithographien veröffentlichte: Nietzsche mit Adler, George als »Ritter vor dem Kampfe« (das sogenannte Colleoni-Bild).
    Am 25. August 1900 war Nietzsche nach fast zwölf Jahren geistiger Umnachtung in Weimar gestorben. Als George wie alljährlich Mitte Dezember seine Zelte in Berlin abbrach, um nach Bingen zu fahren, reiste er – vermutlich in Begleitung Gundolfs – über Weimar und pilgerte zur Villa »Silberblick«, dem letzten Domizil des Kranken oberhalb der Stadt. Das Nietzsche-Gedicht, dessen erste Strophe
diesen Besuch festhält, erschien Anfang Mai in den Blättern . Es war ein Nachruf, und kein sehr schmeichelhafter: »Hast du der sehnsucht land nie lächeln sehn? / Erschufst du götter nur um sie zu stürzen?« 33 Der Frager schien manches besser zu wissen, ja, er deutete sogar an, Wege zu kennen, wie man Nietzsche aus

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