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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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seiner Einsamkeit hätte retten können:
    Der kam zu spät der flehend zu dir sagte:
Dort ist kein weg mehr über eisige felsen
Und horste grauser vögel – nun ist not:
Sich bannen in den kreis den liebe schliesst..
    Der »kreis den liebe schliesst« als letzte Wahrheit Nietzsches? Der Dichter präsentierte sich als Überwinder des Philosophen, dessen sämtliche Probleme er mit einem Schlag erledigt zu haben schien: »sie hätte singen / Nicht reden sollen diese neue seele!« Die Schlussstrophe war eine einzige Provokation und erfüllte beispielhaft den polemischen Zweck der Zeitgedichte . 34 Sie entsprach aber auch Georges Überzeugung, einen Weg aus der Krise zu kennen. Das Schlüsselwort lautete Freundschaft. Nietzsche sei nicht am Wahnsinn der Zeit, sondern an seiner Unfähigkeit zur Freundschaft zerbrochen, so in etwa ließe sich, zugespitzt, Georges Meinung zusammenfassen. Alles, was er gegen Nietzsche einzuwenden hatte, kulminierte in dem Vorwurf, er habe Wagner hintergangen; dies sei der schlimmste Treubruch gewesen, der sich denken lasse, der Verrat eines Jüngers an einem Meister. 35 Nietzsche habe sich seine zunehmende Vereinsamung selber zuzuschreiben.
    Im Kreis seiner Freunde glaubte George die Sicherheit gefunden zu haben, die ihm das Schicksal des Vorgängers ersparen würde. Die Vorstellung eines Liebesrings stammte ursprünglich von Alfred Schuler, der für George im April 1899 ein Gedicht abgeschrieben hatte, das begann: »So schliesst Liebe den Ring.« 36 Wolfskehl war es, der die Metapher im Jahr darauf in Zusammenhang mit Nietzsche brachte. Am 21. November 1900, drei Wochen vor Georges Fahrt mit Gundolf nach Weimar, schrieb er an diesen: »Von kleinsten Zentren gehet das Heil aus, der innere Ring … ist der Grund des Lebens. Wer
aber allein lebt kann … nie in Wahrheit befruchten. Am häufigsten aber wird er zerschmettert, wie die grossen Wallenden des ganzen lezten Säkuls erfahren mussten – bis zu Friedrich Nietzsche hinab, dem lezten der vereinzeln musste … heute braucht kein Gefäss mehr aus Überfülle zu zerspringen, heute ist der Einklang der Kräfte da, ohne den kein Leuchten ist.« 37
    Auf dem von Wolfskehl hier skizzierten Gegensatz gründete das Nietzsche-Bild des George-Kreises. Erst die Doppelrolle des Philosophen als Wegbereiter und letztes Opfer ermöglichte es George, zugleich als Vollender und Überwinder Nietzsches aufzutreten. »Nietzsche hatte den Boden aufgepflügt; in die gelockerte Erde senkte George die Saat eines neuen Menschentumes«, so lautete fortan die Lesart des Kreises. 38 Mit der ebenso schlichten wie berückenden Formel, George habe getan , was Nietzsche gedacht habe, war der Gigant der Epoche eingemeindet. 39

3
    Jeder große Dichter schaffe sich seine Vorläufer selbst, schrieb Jorge Luis Borges einmal. 1896 waren die Leser der Blätter für die Kunst auf einen Schriftsteller aufmerksam gemacht worden, den keiner so leicht unter ihren Ahnen vermutet hätte:
    Von einem dichter will ich euch reden einem der grössten und am meisten vergessenen und aus seinem reichen vor hundert jahren ersonnenen lebenswerk einige seiten lösen von überraschender neuheit unveränderlicher pracht und auffallender verwandtschaft mit euch von heute, damit ihr wieder den reinen quell der heimat schätzen lernet und euch nicht zu sehr verlieret in euren mennig-roten wiesen euren fosfornen gesichtern und euren lila-träumen.. 40
    Die Rede war von Jean Paul. Die Helden der vier großen, von George besonders geschätzten Romane 41 sind verträumte, zwischen Traum und Wirklichkeit revolutionär aufbegehrende Jünglinge, die in der deutschen Literatur ihresgleichen suchen. Sie huldigen der heroischen Freundschaft nicht minder als der ersten Liebe und stellen beide
auf eine Stufe. Höhepunkte der Romane sind Abschieds- und Todesszenen, in denen, oft unter Wahn- und Fiebervorstellungen, der eine Freund dem anderen die von beiden angebetete Braut zur ewigen Liebe ans Herz legt.
    Zu welchen poetischen Aufschwüngen er fähig war, bewies Jean Paul zum ersten Mal 1793 in der Unsichtbaren Loge . Im 31. Kapitel eilt Gustav an das Totenbett seines Freundes und Zöglings Amandus, die beiden feiern Versöhnung. Dann kommt Beate hinzu, die gemeinsame Freundin früherer Tage. Amandus »drückte dem schönen Leben noch einmal die Hand … und der Engel der Freude ließ ihn am Seile der Liebe langsam ins Grab hinab … Diese Minute war zu erhaben für den Gedanken der Liebe – bloß die Gefühle

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