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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Hölderlin-Auswahl im Jahrhundert Goethes blieb konventionell, was freilich auch mit der bruchstückhaften Überlieferung und der desolaten Quellenlage zusammenhing. 70

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    Im Januar 1901 erschien Die Fibel. Auswahl erster Verse . Im Vorwort schien sich George bei seinen Lesern fast entschuldigen zu wollen: »Einem verfasser der schon ein leben hinter sich hat bereitet es nur getrübte freude seine frühen schöpfungen der mitwelt zu übergeben.« Freunde und Verehrer, die ihn zur Veröffentlichung gedrängt hätten, bitte er um Nachsicht, wenn das Ergebnis sie enttäusche; sie sollten bedenken, »dass die jugend gerade die seltensten dinge die sie fühlt und denkt noch verschweigt«. Dichter aber würden sich »in diesen zarten erstlingen« wiedererkennen und sich durch sie gern erinnern lassen »an die zeit unsrer reinsten begeisterung und unsrer vollen blühwilligkeit«. 71 Als Captatio benevolentiae war die Vorrede mustergültig. Der Leser musste den Eindruck gewinnen, dass der Verfasser gezögert habe, dem Publikum diesen Band zu übergeben,
und nach wie vor unsicher sei, ob die Entscheidung richtig war. Der »Ausdruck des Unbehagens an der eigenen Stilisierung« 72 war Teil des publizistischen Konzepts.
    Wer sich von der Veröffentlichung der Jugendgedichte einige Aufschlüsse oder gar, wie es in der Vorrede hieß, »eine schöne offenbarung« erhofft hatte, wurde doppelt enttäuscht. Nicht nur, dass es sich um rührend-naive, mitunter unfreiwillig die Parodie streifende Versuche handelte, welche die spätere Meisterschaft nicht ansatzweise erkennen ließen. »Zwischen diesen Versen und den Hymnen liegen künstlerisch Welten.« Auch über Georges Herkunft, über frühe Prägungen oder literarische Vorbilder erfuhr der Leser aus diesen Gedichten fast nichts. »Das Kind, das diese nüchternen und tonlosen Zeilen gereimt hat, scheint in einem Vakuum ohne jedes Erbe zu leben und seine Sprache fast zu schreiben, um sich erst in ihr zu üben wie in einer fremden.« 73 Genau dies, vermutete Rudolf Borchardt, sei aber der eigentliche Sinn der Veröffentlichung gewesen: zu zeigen, dass nichts und niemand auf ihn eingewirkt habe, dass er keinem Einfluss je unterworfen gewesen sei. Die Dichter, die Pate gestanden hatten, Schiller und Heine, waren nur der Form nach Paten gewesen und fanden sich 15 Jahre später, im Jahrhundert Goethes , auf dem letzten Rang. Indem George seine dichterischen Anfänge zurückdatierte in eine frühkindliche, fast mythische Vergangenheit, verhüllte er mit der Publikation der Fibel mehr, als er offenlegte. Die Unbeholfenheit des Anfangs sollte seinen Aufstieg und das, was inzwischen als Œuvre vorlag, als umso unbegreiflicher erscheinen lassen.
    In vielem aufschlussreicher als die Fibel war der im Oktober 1903 veröffentlichte schmale Prosaband Tage und Thaten . Es handelte sich um stark autobiographische »Aufzeichnungen und Skizzen«, die zum größten Teil Mitte der neunziger Jahre entstanden und meist anonym in den Blättern für die Kunst erschienen waren. Eigentlich hatte George vorgehabt, unter dem Titel »Ein Abschnitt meines Lebens« ein Prosabuch zu veröffentlichen, »das mächtig auf die Zeit einwirken soll«. 74 An diesem ehrgeizigen Plan gemessen, nahm sich die Sammlung von Kindheitserinnerungen und Bildbeschreibungen,
phantastischen »Night-Mares« und »Altertümlichen Gesichten« bescheiden aus. Das Nebensächliche und Zufällige stand neben biographisch Wichtigem, die feierliche Rede auf Jean Paul neben kleineren Fingerübungen im Stil der Baudelaireschen Petits Poèmes en Prose .
    Die Georgesche Prosa, schroff und spröde, noch in ihrer Beiläufigkeit von imperialem Gestus, entfaltete allerdings einen eigentümlichen Reiz. Adorno nannte diese Capriccios »durchgeformte Traumprotokolle« und meinte, sie dürften in keiner George-Auswahl fehlen, da sie einen anderen, einen fast surrealistischen George zeigten. Als eindrucksvolles Beispiel zitierte er den »Redenden Kopf«: 75
    Man hatte mir eine thönerne maske gegeben und an meiner zimmerwand aufgehängt. Ich lud meine freunde ein damit sie sähen wie ich den kopf zum reden brächte. Vernehmlich hiess ich ihn den namen dessen zu sagen auf den ich deutete und als er schwieg versuchte ich mit dem finger seine lippen zu spalten. Darauf verzog er sein gesicht und biss in meinen finger. Laut und mit äusserster anspannung widerholte ich den befehl indem ich auf einen anderen deutete. Da nannt er den namen. Wir verliessen alle

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