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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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als er sein Erweckungserlebnis bereits in triumphale Bilder gebracht. »Wir hätten selten einen reichen tag / Wenn nicht die liebe unser blut durchglühte.« 19 Wer konnte das gedichtet haben? George stellte drei kleine Fotografien auf den Tisch, und Percy sollte raten, wer von den dreien der Verfasser sei. Percy wusste es nicht. »Der mittlere ist das rechte Dichterkind«, klärte George ihn auf, »das kann man an den Augen erkennen.« Dann erzählte er die Geschichte vom Freitod dieses Dichters, der sich aus Treue zu seinem Freund gemeinsam mit diesem das Leben genommen habe. Als George endete, so Gothein, seien sie beide »dem Weinen nahe« gewesen.
    Der Doppelselbstmord von Bernhard von Uxkull und Adalbert Cohrs im Juli 1918 war für George das schlimmste Ereignis des Krieges gewesen. Als ihn die Nachricht erreichte, hatte er das Gefühl, als wären ihm »beide Beine abgeschossen« worden. 20 Unter dem Eindruck dieses Verlustes entstand Anfang August jenes Gedicht, mit dem zehn Jahre später das Neue Reich – und das hieß: das dichterische Œuvre Stefan Georges – seinen Abschluss finden sollte:
    Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht 21
    Nachdem sie von Ernst Morwitz viele Jahre auf die Welt des Dichters vorbereitet worden waren, hatte sich George während des Krieges der Brüder Uxkull persönlich angenommen. Sein Interesse galt vor allem Bernhard, dem jüngeren der beiden, der im Herbst 1916 vom Internat in Ilfeld am Harz nach Berlin gewechselt war. »Jeden tag
empfang ich jezt den besuch des Bernhard der ein rechter S. geworden ist und mir viel freude macht...« 22 Ein rechter S. – das war ein rechter Süßer, einer von denen, für die George zeitlebens eine große Schwäche hatte. An den Augen könne man erkennen, ob einer ein Dichter sei, hatte er Percy am Foto des Bernhard erläutert. Thormaehlen präzisierte: »Was seinen Zügen das Dichterische gab und ein jugendlich Traumhaftes, war die feine Schwellung, die unter den Brauen über dem Auge schwebte und sie beschattete – sie pflegt nur bei Kindern und blühender Jugend vorhanden zu sein, im männlichen Alter verschwindet sie meist allzu schnell.« 23
    Der nie exakt definierte Begriff des Dichterischen ließ genügend Spielraum für allerlei Abstufungen. Da er aufs engste mit dem Aussehen eines Menschen zusammenhing, kamen von vornherein nur bestimmte Personen als »dichterischer Typus« in Betracht. Viele konnten dieses Prädikat auch mit den schönsten Versen nicht erlangen, und manchem, der es einmal besaß, wurde es abgesprochen, sobald er, wie George sich auszudrücken pflegte, garstig wurde. Das Dichterische, verstanden als Gradmesser des Erotischen, war die entscheidende Kategorie für die Beurteilung eines Menschen, es war der zentrale Begriff des Georgeschen Kosmos. In dieser Welt, so Wolters resümierend, kenne man »nur eine bestimmte Art der Jugend zur Eignung für das gemeinsame Leben: den dichterisch erschütterbaren Menschen«. 24
    Bernhard von Uxkull, der diese neue Jugend in Vollendung verkörperte, war nach dem genealogischen Verständnis Georges als »Sohn« von Morwitz bereits ein »Enkel«. Als erster jüngerer Freund eines jüngeren Freundes war er genau genommen der erste Enkel. Und dieser Enkel hatte in dem zweieinhalb Jahre älteren Adalbert Cohrs, dem Sohn des Ilfelder Schulgeistlichen, bereits weitergezeugt. »Dass so etwas möglich war, macht den Freundeskreis für immer existent«, soll George zu Wolters gesagt haben. »Enkel sind das Meiste.« 25 Die Freundschaft von Bernhard und Adalbert war für George der sichtbare Beweis, dass sich auch ohne sein persönliches Zutun, allein aus der von ihm geschaffenen Dichtung Freundschaft regenerierte,
dass es ein Leben aus der Dichtung gab. Durch ihren gemeinsamen Tod schufen sie eine Legende, die für den Freundeskreis in den zwanziger Jahren zum Maßstab werden sollte.
    Nach dem Abitur war Bernhard von Uxkull 1917 als Fahnenjunker in die Ersatz-Abteilung des preußischen 1. Garde-Feldartillerie-Regiments eingetreten und im Winter zur weiteren Ausbildung nach Belgien verlegt worden. Adalbert Cohrs hatte sich bereits im August 1914 als 17-Jähriger von der Schulbank weg als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Wenn er Fronturlaub hatte, besuchte er George, der ihm im Anschluss an ein Treffen in Mainz im Januar 1917 schrieb: »Als zusammenfassung dieser tage gilt als höchstes lob:

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